Klimacheck – Blogreihe zum betrieblichen Klimaschutz

Klimacheck – Blogreihe zum betrieblichen Klimaschutz
Klimaschutz ist ein spannendes sowie komplexes Thema zugleich und stellt Unternehmen und insbesondere KMU vor Herausforderungen, Fragezeichen und nicht zuletzt zukunftsweisende Chancen. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Klima-Impact« des Fraunhofer IAO hat die Blogreihe »Klimacheck« gestartet, um Orientierung zum Thema betrieblicher Klimaschutz zu geben und Unternehmen anhand von Handlungsempfehlungen und Praxisbeispielen zu ermutigen, ihren Beitrag für eine klimabewusste Zukunft zu leisten.

Immer mehr mittelständische Unternehmen entdecken für sich das Thema Nachhaltigkeit als Gestaltungsraum für Innovationen und neue Geschäftsansätze. Im zweiten Teil des Interviews mit den Wissenschaftlerinnen Nektaria Tagalidou und Claudia Ricci sprechen wir über Methoden zur Entwicklung einer systematischen Roadmap für Unternehmen.

Claudia und Nektaria, wie sehr erwarten Kunden des traditionellen deutschen Mittelstands inzwischen, dass Unternehmen die Grundlagen nachhaltigen Wirtschaftens erfüllen? Erleben wir gerade einen Paradigmenwechsel?

Claudia: Im Bereich B2C ist die Zeitenwende hin zu mehr Nachhaltigkeit zumindest in Mitteleuropa schon sehr weit fortgeschritten. Sogar die deutschen Discounter, die sich ja über den Preis definieren, haben ihr Angebot an nachhaltigen Produktalternativen drastisch ausgeweitet. Mittelständler, die hier zuliefern, sind unseren Erkenntnissen nach auf Produktebene schon sehr weit, haben aber in anderen Bereichen noch viele ungenutzte Potenziale, beispielsweise bei der CO2-Bilanz, den Lieferketten oder bei Energieeffizienz oder der Kreislaufwirtschaft. Eine vergleichbare Entwicklung kündigt sich auch für B2B-Geschäftsmodelle an, die einen Großteil des deutschen Mittelstands ausmachen. Neben dem Wandel in der Nachfrage wirken auch regulatorische Vorgaben, beispielsweise zur Emissionsvermeidung, als Beschleuniger der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.

Nektaria: Für viele Unternehmen gibt es eine Art »Nachhaltigkeitspreisspanne«: Man ist bereit, in Nachhaltigkeit zu investieren, aber das Investment muss zum allgemeinen Preisgefüge passen. Auf der einen Seite müssen Mittelständler auch den Klimaschutz bepreisen und einkalkulieren und das ist gerade für hochspezialisierte Mittelständler nicht immer einfach. Auf der anderen Seite sind viele Unternehmen noch nicht in der Lage, zukünftige Einsparmöglichkeiten kalkulieren zu können, etwa bei Klimaschutzmaßnahmen zur Energieeinsparung. Es gibt neben allen Sachzwängen auch eine Nachhaltigkeitsdividende, sei es finanziell oder perspektivisch, zum Beispiel, weil durch eine Verbesserung des eigenen Nachhaltigkeitsfußabdrucks neue Kunden oder Partner gewonnen werden können. Unser Ziel ist es, mit Unternehmen diese positiven Potenziale herauszuarbeiten und langfristig nutzbar zu machen.

Das klingt sehr idealistisch. Gibt es konkrete Beispiele, wie Unternehmen diese Innovationschancen realisiert haben?

Claudia: Mehr als man vermuten würde. Wir dürfen nicht vergessen, dass Innovation und Veränderung zum Selbstverständnis des Mittelstands gehören und dass diese Unternehmen von ihrer Organisation und Kultur her meist sehr lern- und anpassungsfähig sind. Ein imposantes Beispiel für eine strukturelle Transformation ist der Teppichhersteller Interface. Dieses Unternehmen stand wirtschaftlich immer sehr gut da, aber das Management hat sich nicht auf den Lorbeeren der Erfolge ausgeruht, sondern sich gefragt, wie es auch in Zukunft unter geänderten Rahmenbedingungen erfolgreich sein kann. Diese Branche arbeitet weltweit vernetzt, in vielen unterschiedlichen Märkten. Bei Interface entschloss man sich, zunächst jeden Aspekt der Lieferkette unter die Lupe zu nehmen, zu verändern oder Alternativen zu entwickeln. Das Unternehmen war mit der kritischen Durchleuchtung aller Aspekte seiner Wertschöpfungskette seiner Zeit voraus – heute ist es das mit neuen nachhaltigen Verfahren und Produkten.

Nektaria: Interface ist auch ein Paradebeispiel, wie aus den Herausforderungen einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise Innovationschancen entstehen können. Im Rahmen der strukturellen Analyse konnten auch zahlreiche Innovationspunkte identifiziert werden und nach und nach entstanden neue Produkte und Angebote, die dem Unternehmen durch den steigenden Bedarf an nachhaltigen Produkten ein steiles Wachstum beschert haben.
Ein anderes Beispiel – unter vielen – ist Patagonia, der Hersteller von hochwertiger Outdoor-Kleidung. Patagonia hat neben vielen anderen Maßnahmen zur nachhaltigen Umgestaltung neue Produkt- und Service-Linien aufgebaut, beispielsweise Reparaturdienstleistungen. Dieser Service wird von Kunden und Kundinnen stark nachgefragt und ergänzt das Angebot eines Premium-Herstellers optimal.
Die vielen Erfolgsbeispiele innovativer Unternehmen haben zwei Dinge gemeinsam: Man wartete nicht ab, bis der Veränderungsdruck Anpassungen und Investitionen erzwang, sondern versuchte, frühzeitig selbst aktiv zu werden und Entwicklungen dadurch selbstbestimmt voranzutreiben. Man begann mit der Analyse der eigenen Situation und entwickelte passgenaue eigene Lösungen. Diese systematische Vorgehensweise und Lösungsorientierung haben wir im BIEC zu Instrumenten weiterentwickelt, die gerade mittelständischen Unternehmen den erfolgreichen Einstieg in die nachhaltige Transformation ermöglichen sollen.

Ihr habt mit dem Nachhaltigkeits-Canvas eine eigene Methodik für die Implementierung nachhaltiger Wirtschaftsprinzipien entwickelt. Wie wird dieses Tool eingesetzt und welche Ergebnisse können Unternehmen damit erzielen?

Claudia: Die Canvas-Methode kommt ursprünglich aus dem Innovationsmanagement und der Welt der Start-ups und dient dazu, mit möglichst wenig Aufwand ein skalierbares Konzept für neue Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln. Er hilft vor allem bei der Konzeption einer klaren Systematik und realistischen Handlungsempfehlungen. Wir haben diesen Ansatz in den Bereich der Nachhaltigkeit übertragen, weil er speziell für den Mittelstand unkompliziert und mit wenig Aufwand einsetzbar ist und Ergebnisse liefert, die zum Unternehmen passen.
Unternehmen, die den Canvas mit uns anwenden, starten mit einer umfassenden Bestandsaufnahme. In mehreren iterativen Schritten arbeitet man sich von der Problemanalyse hin zu Lösungsansätzen, Innovationschancen und einer strukturierten Roadmap, die auch die eigenen Mitarbeitenden mit einbezieht. Der Canvas liefert auch die Grundlage für Nachhaltigkeits-Bilanzierungen, weil durch die Systematik im Nachgang auch Kennzahlen erhoben werden können.

Kann jedes Unternehmen diesen Canvas nutzen? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen?

Nektaria: Im Prinzip ja, weil der Canvas auf die individuellen Bedürfnisse eingestellt werden kann und jedem die nächsten Schritte für nachhaltigen Wandel ermöglicht. Wie in klassischen Innovationsprozessen auch fördert und fordert der Canvas out-of-the-box Denken, also das Verlassen ausgetretener Entwicklungspfade, und Experimentierfreude. Der Canvas begleitet Teilnehmende auf ihre Reise zu mehr Nachhaltigkeit und lässt bei aller Systematik viel Freiraum für kreative Ansätze. Der wichtigste Schritt für eine sinnvolle nachhaltige Umgestaltung ist immer die Änderung der eigenen Perspektive und der Fokus auf die Identifikation von Chancen – der Nachhaltigkeits-Canvas bietet beides: eine klare Strukturierung und die Möglichkeit, Nachhaltigkeit als Innovationschance zu begreifen.

Nektaria, Claudia: Vielen Dank für dieses Gespräch und die Einblicke in euren Methodenbaukasten für Nachhaltigkeitsroadmaps.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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