Wir schreiben das Jahr 2030 und die Mobilität in unseren Städten ist eine andere: Das Stadtbild ist geprägt von verschiedenen Mikromobilitätsangeboten, die jedem zu jeder Zeit zur Verfügung stehen und smart miteinander verknüpft sind. Die autofreie Innenstadt ist längst zur Normalität geworden. Dank der neuen Hygienestandards für alle Fortbewegungsmittel kann immer schneller auf neues Infektionsgeschehen eingegangen werden. Sharing-Dienstleistungen sind beliebt wie noch nie. Dieser Ausblick in die Zukunft könnte das Stadtbild der Zukunft beschreiben. Ist es möglich, dass das Virus uns diesem Zukunftsbild näherbringt?

Weniger Verkehr durch Corona

Unsere Mobilität hat sich schon heute Pandemie-bedingt drastisch verändert: Viele von uns blieben vermehrt daheim oder bewegten sich nur in ihrem unmittelbaren Umfeld wie u.a. Google Trends Analysen zeigen. Auch die Art, wie wir reisen, hat sich verändert. Eindeutig erkennbar ist in vielen Untersuchungen, dass die Mobilität mit dem Ausbruch des Coronavirus und den durch die Politik aufgelegten Einschränkungen abgenommen hat. Dies bestätigen auch uns vorliegende Daten für den Stadt- und Landkreis Heilbronn. Mit der im April 2020 verabschiedeten Corona-Verordnung hat der Verkehr zunächst massiv abgenommen. Diese Abnahme spiegelt sich ebenfalls in Zahlen zu Parkhausauslastungen im Stadtgebiet Heilbronn wider: zentrumsnahe Parkhäuser waren in den Monaten März und April weniger belegt als normalerweise. Einen noch stärkeren Rücklauf verzeichnen Heilbronner Parkhäuser, die in Nähe des Bahnhofs oder eines Industriegebiets liegen. Diese werden vermutlich hauptsächlich von Berufspendler*innen und Studierenden genutzt und sind aufgrund der strukturellen Veränderungen weniger gefragt als vor Ausbruch der Pandemie.

Eine Studie der TU-Dresden zeigt, dass sich die größten Veränderungen insbesondere für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie den Fahrrad- und Fußverkehr ergaben. Wobei der ÖPNV klar zu den Verlierern der Krise und das Fahrrad sowie die eigenen Füße zu den Gewinnern gehören. In einer Studie von Matthies et al. (2020) wurden Proband*innen nach Gründen für den Umstieg auf das Fahrrad gefragt. Die wichtigsten sind zum einen die erhöhte Verfügbarkeit von Wegzielen im lokalen Umfeld, der Zeitwohlstand, die Wahrnehmung einer neuen Norm und der Umweltschutz.

Öffentlicher Nah- und Fernverkehr – Dauerhafter Verlierer der Krise?

Home-Office-Strukturen und wegfallende Dienstreisen könnten Grund dafür sein, dass öffentlicher Nah- und Fernverkehr dauerhaft unter der Krise leiden. Durch reduzierten Pendler*innenverkehr auf den Straßen und ein höheres Sicherheitsempfinden im eigenen PKW ist für viele Pendler*innen das eigene Auto wieder attraktiver geworden. Die Fahrgastzahlen und Fahrgelderlöse im ÖPNV sind hingegen stark eingebrochen. Einer Umfrage der University of Applied Sciences in Frankfurt zufolge verzichten viele auf eine Fahrt mit Bus und Bahn aufgrund der hohen wahrgenommenen Ansteckungsgefahr. Da der ÖPNV jedoch eine unabdingbare Aufgabe der Daseinsvorsoge erfüllt, müssen Wege gefunden werden, diesen dauerhaft zu sichern. Eine kurzfristige Rettung wird durch die »Bundesrahmenregelung Beihilfen für den öffentlichen Personennahverkehr« vom 7.8.2020 gewährleistet. Mittlerweile haben viele Länder Richtlinien für einen ÖPNV-Rettungsschirm veröffentlicht, um einen Ausgleich für coronabedingte Umsatzeinbußen zwischen März und August 2020 zu schaffen. Mittel- bis langfristig erscheinen bedarfsgerechte und effiziente Mobilitätskonzepte vielversprechend, wie der kombinierte Personen- und Gütertransport oder Mobility-On-Demand-Angebote. In jedem Fall verstärkt die Krise den Anlass, öffentlichen Nah- und Fernverkehr im Zuge von Verkehrswende, Digitalisierung und veränderter Lebens- und Arbeitswelten neu und vernetzter zu denken.

Mikromobilität im Trend

Auch Anbieter von Mikromobilitätsdienstleistungen, insbesondere E-Scootern, haben massive Einbrüche erlitten. Doch die Nutzer*innenzahlen haben sich laut der Dienstleistungsunternehmen in den letzten Wochen erholt und sind sogar höher als vor der Krise. Dies bestätigen auch uns vorliegende Zahlen eines E-Scooter-Unternehmens, das u.a. in den Städten Mainz und Frankfurt tätig ist. Laut Medien konnten auch Sharing-Dienstleistende von E-bikes und Fahrrädern Kund*innen hinzugewinnen. Insgesamt zeigt sich, dass der Individualverkehr an Wichtigkeit gewonnen hat. Städte und Kommunen sollten sich nun dafür einsetzen, die Infrastruktur attraktiv und sicher für Rad, E-Scooter und Fußgänger*innen zu gestalten. Pop-Up Radwege wie in Berlin haben gezeigt, dass eine Anpassung der Straßennutzung prinzipiell möglich ist. Um dauerhaft von den Trends der Krise profitieren zu können, muss jedoch schnell und flächendeckend eine dauerhafte Veränderung folgen. Denn ein Blick in die Daten der Straßenverkehrszählung in Heilbronn verrät, dass der innerstädtische PKW-Verkehr wieder auf das Ausgangsniveau vor der Krise steigt.

Sind dauerhafte Veränderungen möglich?

Die Zahlen zeigen uns, dass eine Veränderung der Mobilität möglich ist und das Bild, wie wir es heute kennen, nicht festgeschrieben ist. Um von kurzfristigen Veränderungen zu langfristigen Entwicklungen zu kommen, müssen Städte, Sharing-Dienstleistende sowie ÖPNV nun Hand in Hand zusammenarbeiten. Schnelle und kreative Lösungen müssen gemeinsam auf den Weg gebracht werden und für Nutzer*innen zu einem positiven Erlebnis werden. Ich denke, diese sind ein Schlüsselfaktor für den langfristigen Erfolg und die Akzeptanz neuer Mobilitätskonzepte. Neben den positiven Effekten für den Klimaschutz ist ein Umstieg auf Mikromobilität- und Fußverkehr auch mit individuellen positiven Effekten verbunden. So fallen Sprit- und Parkkosten weg und gleichzeitig steigt das körperliche Wohlbefinden durch das Mehr an Bewegung. Eine Theorie der Verkehrspsychologie nach Fujii, Gärling & Kitamura, (2001) besagt, dass durch das Erleben solch positiver Effekte und das Aufbrechen von Gewohnheiten auch kurzfristig erzwungene Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen können. Diese positiven Effekte müssen nun intensiviert und herausgestellt werden, so kann ein »New Normal« der innerstädtischen Mobilität entstehen.

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Janika Kutz

Janika Kutz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungs- und Innovationszentrums Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS, einer Außenstelle des Fraunhofer IAO am Bildungscampus in Heilbronn. Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung und Evaluation datengestützter Dienstleistungen und interessiert sich insbesondere für Fragestellungen rund um das Thema Technologieakzeptanz.

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Kategorien: Future Mobility, Stadtentwicklung
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