Feinfühlige Technik – Blogreihe des Teams »Applied Neurocognitive Systems«
Im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nimmt die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine eine Schlüsselrolle ein. Neuroadaptive Technologien versprechen große Potenziale sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis. Im NeuroLab des Fraunhofer IAO arbeiten die Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle zwischen kognitiver Neurowissenschaft, positiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Unser Ziel ist es, die zunehmende Intelligenz und den steigenden Grad an Autonomie technischer Systeme konsequent auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen auszurichten.

Inklusion kann nicht gelingen, wenn man „nur“ für Menschen mit Behinderung entwickelt. Die grundlegende Arbeitsphilosophie des Forschungsbereichs Mensch-Technik-Interaktion am Fraunhofer IAO, ist die aktive Einbindung der Nutzenden direkt in den Entwicklungsprozess eines jeden Projekts – Wir entwickeln mit ihnen, von der Konzeptentwicklung bis zur Evaluation. Wir arbeiten mit 12 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, die in ihren Interaktionsmöglichkeiten eingeschränkt sind und Talker-Systeme nutzen.

Das wichtigste Ergebnis der detaillierten, situationsbezogenen Anforderungsanalyse zu Beginn war, dass das Hauptbedürfnis der Nutzenden über die bloße Erhöhung der Geschwindigkeit der Tasteneingabe hinausgeht. Sie wünschen sich:

  • Die Fähigkeit, einen Gesprächspartner zu unterbrechen, bevor ein Thema gewechselt wird.
  • Die Fähigkeit, ihre Gefühle auszudrücken.
  • Die Verwendung von eloquenten Sprachformen und Worten.

Das Rad nicht neu erfinden

Augengesteuerte Kommunikationssysteme gibt es schon seit einiger Zeit, und die technische Entwicklung schreitet weiter voran, vor allem im Bereich der Hardware. Der Schwerpunkt des KONTAKT-Teams liegt auf der Verwendung von Standardkomponenten und handelsüblicher Hardware sowie auf dem Einsatz von Fachwissen im Bereich Interaktionsdesign und Software-Engineering für ein besseres Produkt.

Im Team für Applied Neurocognitive Systems verfügen wir über Ansätze des maschinellen Lernens für die Analyse neurophysiologischer Daten zur Lösung von Interaktionsproblemen. Dieses Fachwissen bildet die Basis, um gemeinsam mit unseren Partnern bei seracom intelligente Modelle für die Vorhersage von Wörtern und Sätzen zu erforschen und Ansätze zu finden, die von der Forschung auf reale Bereiche übertragen werden können. Stellen Sie sich eine Spracherkennung vor, die „Ihren Nutzenden“ so gut kennt, dass sie dessen Absichten bereits nach wenigen Eingaben in ganze Sätze übertragen kann. Wir nutzen auch unseren Hintergrund in der Mensch-Computer-Interaktion, um uns mit der auf Blicken basierenden Interaktionsforschung zu befassen, die die Benutzerfreundlichkeit und das Benutzererlebnis des KONTAKT-Systems verbessern kann.

Das Projektteam evaluiert iterativ mehrere Ansätze zunächst intern und dann mit den Endnutzenden für die verschiedenen Funktionalitäten, die systematisch in einen funktionierenden Prototyp eingearbeitet werden.

Der aktuelle Prototyp integriert:

  • Mehrere UI-Elemente, die einfachen Zugang zu vorhergesagten Wörtern und Wortvorschauen bieten
  • Eine Emoji-Tastatur für emotionsbasierte auditive Reaktionen
  • Themenbasierte voreingestellte Sätze und schnelle Äußerungen

Die Herausforderungen eines autonomen Systems

Neben der intelligenten Wort- und Satzvorhersage werden derzeit auch modernste Technologien für die Umwandlung von Sprache in Text sowie die Erfassung begrenzter Umgebungsinformationen über eine Kamera erforscht. Eine der zentralen Herausforderungen für solche Talker ist die Forderung nach einem Offline-System mit möglichen maschinellen Lernmodellen, die auf dem Gerät funktionieren. Dies ist im Moment ein aktiver und einer der herausforderndsten Forschungs- und Evaluierungsbereiche für das KONTAKT-Team. Forschung und Technologie für eine inklusivere Gesellschaft.

Der Mensch in der Mensch-Computer-Interaktion

Unser Ziel ist es, immer mehr Menschen mit Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, indem wir ihnen technische Möglichkeiten geben, ihre Fähigkeiten und Talente zu entfalten und in die Gesellschaft einzubringen – so wie es einem der größten Wissenschaftler unserer Zeit auch gelungen ist:

“My expectations were reduced to zero when I was 21.
Everything since then has been a bonus.”
― Stephen Hawking, Interview with Deborah Solomon, ‚The Science of Second-Guessing‘, in New York Times Magazine (12 Dec 2004)

Im Alter von 21 Jahren wurde bei Stephen Hawking, einer der inspirierendsten Menschen, die je gelebt haben, ALS diagnostiziert. Seine Beiträge zur Welt der Wissenschaft und zur Inspiration der Menschen sind unermesslich. Die Technologie, die es ihm ermöglichte, von seinem Stuhl aus mit uns zu kommunizieren, ist nur ein Kanal für seine Gedanken und Ideen zur Verbesserung unseres Verständnisses der Welt. Auch wenn solche hochfliegenden Ideale vielleicht jenseits von uns liegen, ist es eine Verantwortung, dass vor allem öffentlich finanzierte Einrichtungen danach streben sollten, kleine Schritte zu finden, die zum Aufbau einer inklusiveren Gesellschaft beitragen können. So könnten beispielsweise augengesteuerte Systeme in Maschinen und Werkzeugen am Arbeitsplatz integriert werden, um eine inklusive Arbeitsumgebung zu schaffen. Dies wiederum setzt voraus, dass die Industrie in Zukunft in Technologien investiert, die es ermöglichen, dass Menschen mit und ohne Behinderung nahtlos zusammenarbeiten können.

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Ravi Kanth Kosuru

Forscher im Team »Applied Neurocognitive Systems«. Mit dem Schwerpunkt Mensch-Computer-Interaktion interessiert er sich für die Gestaltung von Systemen, die auf unseren natürlichen Interaktionen aufbauen. Für ihn ist es von besonderer Bedeutung, die Möglichkeiten von Schnittstellen zu erforschen, die über die traditionelle Tastatur/Maus hinausgehen, um die Kommunikation in der heutigen Arbeits- und Alltagswelt zu verbessern.

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Kategorien: Künstliche Intelligenz, Mensch-Technik-Interaktion
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