The City that never sleeps? Gerade leider schon, und zwar nicht nur die dafür bekannte Stadt New York City. Auch weitere Metropolen wie London, Amsterdam oder Berlin scheinen nachts zum großen Teil still zu stehen. Clubs, Bars, Restaurants, Kinos… auf allen Schildern ist »closed« zu lesen. Der Lockdown und die Ausgangssperren lähmen jedoch nicht nur das Nachtleben, sondern auch einen bedeutenden urbanen Wirtschaftszweig. Und damit auch die Menschen, die zu dieser Zeit, an diesen Orten arbeiten. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist die meistbetroffene Branche der Corona-Auswirkungen. Laut einer Umfrage von E&Y brachen die Einnahmen um 31 Prozent europaweit ein (siehe Leselinks). Was den meisten Menschen durch diese Pandemie jedoch bewusst wurde ist, wie wertvoll das Nachtleben für jede*n einzelne*n ist. Nicht nur der Spaßfaktor, der hier große Vorreiter und synonym verwendete Gedanke zum Nachtleben, auch die Dienstleistungen und die daraus resultierende Wertschöpfung für Städte und Kommunen sind nun stark zu erkennen.

Strategien einer Nachtökonomie

Betrachtet man die gesamte Nachtökonomie, wozu bspw. nicht »nur« die Nachtkultur, sondern auch Transport- und Lieferungsdienstleistungen, das Gesundheitswesen, Lebensmitteldienstleistungen oder die Telekommunikation zählen, so wird schnell klar, dass sich die Nachtzeit zumindest in Großstädten aufgrund des sich stets wandelnden Lebensstils fast automatisch zu einer nutzbaren und wertschöpfenden Zeit entwickelt hat. Doch auch die ländlich gelegenen, suburbanen Räume haben großes Potenzial, dadurch attraktiver zu werden und so dem Abwandern entgegenzuwirken.

Eine bunte, erfolgreiche und gewinnbringende Nachtwirtschaft benötigt eine ganzheitliche Strategie, egal ob innerhalb einer Metropole, Großstadt, Mittel- oder Kleinstadt. Diese Strategie lebt von einem bottom-up-Ansatz, der im Austausch mit allen beteiligten Akteur*innen entwickelt werden muss. Kommunikation und Austausch zwischen Barbetreiber*innen, Anwohner*innen, Verwaltung, Ordnungsbehörde und/oder weiteren fachspezifischen Akteur*innen bringen konstruktive und akzeptable Lösungen auf den Tisch. Unter anderem auch aus diesem Grund machte es Mannheim als erste deutsche Stadt der Vorreiterin Amsterdam nach und schuf 2018 die Stelle »Nachtbügermeister*in«, welche*r als Schnittstelle zwischen Stadtverwaltung, Bars, Clubs und anderen Akteur*innen dient und u.a. als Schlichtperson, Vermittler*in oder Ideengeber*in fungiert. Mit Erfolg, wie sich zeigt. Denn die Stelle wurde 2020 erneut besetzt. Und so soll es nun auch für die »Mutterstadt Benztown« geschehen.

Leuchttürme des professionellen Nachtmanagements: Amsterdam, Mannheim – und bald auch Stuttgart?

Durch eine Initiative des Club Kollektivs e.V., welche dem Gemeinderat vorgelegt wurde, konnte solch eine Stelle in den Haushaltsberatungen auch für Stuttgart verabschiedet werden. Der vierstufige Prozess zur Entscheidung für eine*n Nachtmanger*in ist derzeit im Gange. Die Online-Votings durch die Bevölkerung sind seit Ende Januar abgeschlossen, die Jury hat in einer Online Pitch- und Fragerunde drei Bewerber*innen in das Finale geschickt. Nun folgen persönliche Vorstellungsgespräche bei der Wirtschaftsförderung Stuttgart GmbH und Anfang März fällt dann die Entscheidung der oder des Auserwählten.

Das besondere an der Stelle ist, dass hier zwei Personen im Tandem arbeiten: Es wird nicht nur eine*n Nachtmanager*in geben, welche*r als Vermittler*in zwischen Kreativ- und Kulturschaffende und Behörden fungiert, ebenso wird es eine weitere Person geben, welche*r innerhalb der Wirtschaftsförderung der Stadt angesiedelt ist, und so die Verwaltungsbrille miteinbringt. Damit soll gewährleistet werden, dass die Stelle stärker in die Verwaltung integriert ist, Verwaltungsabläufe besser einbezogen werden können und diese gleichzeitig mit den Wünschen, Sorgen, Anregungen und Kritik der nächtlichen Stadtwirtschaft und -gesellschaft vereinbar sind. Das Ziel bei der Schaffung der Stellen von Nachtbürgermeister*innen o.ä. sollte stets sein, die Akteure der Nachtwirtschaft aus der oppositionellen Rolle heraus zu bekommen, sodass sie städtische Gestaltungsgremien bilden können, wie bspw. einen Nachtrat oder gezielte Arbeitskreise für die einzelnen Belange, in denen die betroffenen politischen Sprecher*innen aus den Fachausschüssen mitinvolviert sind (bspw. AK Sicherheit, AK Clubkultur,..). Durch Gremien kann eine bessere und nachhaltigere Arbeit entstehen, so Hendrik Meier (ehemaliger Nachtbürgermeister von Mannheim). Ebenso bleiben viele (soziokulturelle) Themen, wie bspw. häusliche Gewalt, Obdachlosigkeit oder sexuelle Belästigung, in den Verwaltungen auf der Strecke, weil diese außerhalb der »normalen« Arbeitszeit einer Verwaltung geschehen oder die Position mit einer Person zu wenig »person power« hat. Für Hendrik Meier wäre es sinnvoll, eine »eigene« Verwaltung für die Belange der Nachtkultur zu generieren und somit eine 24h-Governance bereitzustellen.

Gestalten statt Verbieten: Nächtliche Lebensqualität erhalten und schaffen

Stuttgart hat mit 2.900 gemeldeten Gastronomiebetrieben eine bunt aufgestellte und vielfältige Szene, die nicht nur »systemrelevant« für die städtische Ökonomie ist, sondern eine Plattform für das Kulturleben der Stadtgesellschaft bildet und unfassbar viel Spaß macht. Die bunten und vielfältigen Angebote machen die Stadt zu dem, was sie ist, die »1ste Liebe«. Und das nicht nur für die Hip-Hop Szene. Öffentliche Plätze werden mehr denn je geschätzt, aufgesucht und bunt bespielt. Leben entsteht durch zusammenkommen in der Stadt und hierfür soll Platz geschaffen werden, innerhalb der Verwaltung, aber auch in den Herzen der Anwohner*innen. Die bunten und vielfältigen Angebote sind Teil unserer sozialen Identität. Doch auch Kritik und Beschwerden bspw. von Anwohner*innen sind Alltag, Polizei und Ordnungsbehörden kommen oft zum Einsatz. Daran soll nun mit dem Tandem der Koordinierungsstelle »Nachtleben« präventiv gearbeitet und Platz für ein vielfältiges Miteinander der unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessengruppen geschaffen werden.

Denn was wären die »Stuggi Nights« ohne das Gedränge im Sommer am »Hans im Glück Brunnen«, die ellenlangen Schlangen am Palast der Republik oder den Silent Disco Partys auf dem Wilhelmsplatz? Was wäre der Stuttgarter Süden ohne die Flunky – Ball Sessions auf dem Marienplatz oder der »Flaniermeile« rund um die Tübingerstraße? Nicht zu vergessen, der Westen oder Osten mit den kleinen süßen Kiosken, Cafés und Bars. Soziale Kontakte, vielfältige Angebote, eine ausgereifte Infrastruktur und die Leichtigkeit machen das Leben innerhalb einer Stadt lebenswert. Die vielfältige Auswahl haben wir Kultur- und Kreativschaffenden zu verdanken, sie zeigen uns neue Orte, neue Geschmacksrichtungen und verhelfen uns zu neuen Eindrücken. Ohne sie wäre unsere städtische Heimat ziemlich still, ziemlich langweilig, und vor allen Dingen ziemlich unwirtschaftlich.
Sollte ihnen dann nicht einfach nur aus reiner Wertschätzung eine Infrastruktur bereitgestellt werden, durch diese sie Gehör finden? Eine, die funktioniert und gleichzeitig einen Mehrwert für alle Beteiligten bringt? Ich finde schon.

Für tiefergehende Inhalte und Schlüsselfaktoren bzgl. einer zukunftssicheren Nachtökonomie erscheint in Kürze unser Positionspaper »The Outlook on Nighttime Economy«, welches ich gemeinsam mit meinen Kolleg*innen Inna, Ernesta und Petr verfasst habe. Hier werden Potenziale der Nachtwirtschaft für das lokale Wirtschaftswachstum sowie dem gesellschaftlichen Wohlstand aufgezeigt und Erfolgsstrategien abgeleitet.

Leselinks:

Jennifer Krauß

Studierte Soziologin und Politologin mit dem Schwerpunkt »European Governance and Democracy«. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team »Urban Governance Innovation«, wobei der Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit auf Urban Governance und nachhaltiger Digitalisierung innerhalb der Stadtentwicklung liegt.

Autorenprofil - Xing - LinkedIn



Kategorien: Stadtentwicklung
Tags: , ,