Vom urbanen Großstadtdschungel in ländliche Ruheoasen? Da Arbeitsort und Wohnort aufgrund zunehmender räumlicher Autonomie in der Büro- und Arbeitswelt längst nicht mehr übereinstimmen müssen, stellt sich die Frage inwiefern diese Entwicklung ländlichen Räumen neuen Aufschwung verleiht.

Vom urbanen Hipster zum Countryside Cowboy?

Divers, lebendig, und immer im Trend – oder auch dem Trend voraus. Urbanität, das verspricht einen Alltag voller Großstadtabenteuer in einer Umgebung, die sich immer wieder neu erfindet und anpasst. Metropolen mit mehr als 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern eilen ihrem Ruf als Experimentierräume für Trends der Superlative und kreative Hotspots voraus. Hier kommen Kulturen zusammen, hier wird Wissen transferiert, hier entsteht Innovation. Die Bevölkerungsschichten in sogenannten kreativen Clustern sind meist geprägt von Bildungs- oder Berufswandernden, die den Großstadtdschungel ganz bewusst als ihre Heimat auf Zeit ausgewählt haben, um alle Vorteile der Infrastruktur genießen zu können und Teil der exklusiven Gruppe urbaner Hipster zu sein.

Heimat, dieser Begriff steht vor allem für junge Generationen schon lange nicht mehr ausschließlich für den Geburtsort, sondern ist vielmehr ein Sinnbild für eine Vielfalt unterschiedlicher Orte mit jeweils spezifischen Erlebnissen, Momenten und sozialen Beziehungen. Mit der Standhaftigkeit eines Heimatortes hat der Lebensstil der »Young Generations« kaum noch etwas gemein. Die zunehmende Dynamik in allen Bereichen des Alltags gilt als Fundament der Entwicklung zukünftiger Lebenswelten. Oder sollte man sagen »galt als Fundament zukünftiger Lebenswelten«? Um Lebenswelten genauer zu definieren und die Veränderungen darzustellen, beschäftigen wir uns im Forschungsbereich »Stadtsystem-Gestaltung« am Fraunhofer IAO zunehmend auch mit den Veränderungen der Büro- und Arbeitswelt.

Die Corona-Pandemie bremste die Dynamik einer Gesellschaft, die mitunter dabei war, sich selbst zu überholen. Von 100 auf 0 in nur wenigen Tagen. Diese gesellschaftliche Veränderung prägte auch die Infrastruktur in einstigen lebendigen und kreativen Metropolen. Aus urbanen Abenteuern wurden teils urbane Alpträume: Geringe Wohnflächen, eine hohe Flächendichte, eine begrenzte Verfügbarkeit von Naherholungsgebieten, digitales Beer-Tasting statt Kneipenkult, Homeoffice statt Büro. Wohingegen einige aus der Not entstandene digitale Innovationen derzeit einen Rückgang erleben, sind andere Entwicklung gekommen, um zu bleiben: Die hohe räumliche und zeitliche Autonomie, verbunden mit einer Digitalisierung von Arbeitsorganisationen, wird die Arbeitswelt von morgen massiv prägen. Wohnorte sind daher nicht mehr zwangsläufig an Unternehmensstandorte gebunden. Diese Überlegung wirft Fragen auf: Ist das die Chance für den ländlichen Raum? Werden aus urbanen Hipstern in Zukunft Countryside Cowboys? Und ist mit einer Verlagerung von Kreativclustern vom städtischen Kontext in ländliche Regionen zu rechnen?

Die Ergebnisse der Zukunftsstudie »Constructing Our Future. Planen. Bauen. Leben. Arbeiten.« mit Beteiligung des Fraunhofer IAO verdeutlichen, dass die Offenheit gegenüber alternativen Arbeitsorten zunimmt (siehe Leselinks). Demnach können sich 33 Prozent der Befragten vorstellen, zukünftig temporär in einem Neighbourhood Coworking Space zu arbeiten. Büro- und Wissensarbeitende nehmen den neuen Möglichkeitsraum demnach an und gestalten ihren Arbeitsalltag um. Als Alternative werden derzeit zunehmend Konzepte gesucht, die das klassische Coworking-Modell »working together alone« vertreten. Allerdings sind die neuen Arbeitsorte nicht mehr an urbane Räume gebunden – es gibt ländliche Alternativen.

Kreativorte zwischen Wald und Wiese

Abbildung 1: Innovation auf dem Land? Dass kreative Zusammenarbeit und die Entwicklung neuer Ideen auch abseits der großen Metropolen möglich sind, zeigen derzeit viele Einzelbeispiele. (© Fraunhofer IAO)

Abbildung 1: Innovation auf dem Land? Dass kreative Zusammenarbeit und die Entwicklung neuer Ideen auch abseits der großen Metropolen möglich sind, zeigen derzeit viele Einzelbeispiele. (© Fraunhofer IAO)

Wie Alternativen aussehen und wie sie sich langfristig etablieren können zeigt das Projekt »Summer of pioneers«. Hier kann probegewohnt werden. Im ländlichen Raum für eine begrenzte Zeit oder auch drüber hinaus. Eine Initiative zur Förderung des ländlichen Raums an unterschiedlichen Orten mit dem klaren Ziel, Regionen neue Perspektiven aufzuzeigen. Alternativen zum Wohnen in Pendeldistanz des Arbeitsgebers machen erfinderisch und lassen Raum zum Träumen oder kritischen Hinterfragen der aktuellen Wohnsituationen. Das Land als Zukunftsort und neuer Innovation Hub? Im großen Stil bislang kaum vorstellbar, denn trotz der Alternativen sind diese in aller Regel auch immer mit Kompromissen verbunden: Begrenzte Naherholungsgebiete – dafür eine gute gesundheitliche Versorgung vs. Natur pur und geringere Wohnkosten, aber dafür lange Distanzen und ein geringes kulturelles Angebot. Je nach Lebenssituation könnte die Pro- und Contra-Liste für oder gegen das Bleiben im Stadtraum unterschiedlich ausgelegt werden. Fest steht allerdings: Gesucht werden ganz dringend alternative Arbeitsorte und vor allem neue Wohnkonzepte, die den aktuellen Bedarfen gerecht werden. Und obwohl davon ausgegangen werden kann, dass es zu keiner großen Abwanderung aus den Metropolen kommen wird, spricht das keinesfalls gegen die Entstehung von kreativen Clustern auf dem Land. Denn der ländliche Raum birgt viele Potenziale und Möglichkeiten, die zumindest als Alternative auf Zeit in Anspruch genommen werden können. Netzwerke, wie der Zusammenschluss »Kreativorte Brandenburg« werben zunehmend mit Angeboten zur Ausrichtung von Teamevents als Alternative zum Tagen in klassischen Kongresshotels. Gemeinsame Fahrradtouren, Raum zum Brainstormen auf grünen Wiesen, Inspiration durch historisch wertvolle Gebäude, wie zum Beispiel alten Bauernhöfen oder Mühlen, das sind Orte, die gesucht sind. Das bestätigen auch Ergebnisse des Innovationsnetzwerks »Future Meeting Space« unseres Instituts und des German Convention Bureau e. V. (siehe Leselinks). Demnach sind kleine, kreative Workshops an authentischen Orten ein Weg in die Zukunft der Eventbranche.

Ländlichen Räumen bietet sich derzeit die Chance, sich in Teilen neu zu erfinden und von der flexiblen Arbeitswelt zu profitieren. Und wer weiß, vielleicht spricht man zukünftig nicht mehr nur von Stadtabenteuern der urbanen Hipster, sondern vom Wald- und Wiesenfestival der neuen Countryside Cowboys, die nicht gekommen sind, um zu bleiben, aber mit Sicherheit einen neuen Fußabdruck im ländlichen Raum hinterlassen können.

Leselinks:

Katharina Dienes

Teil des Teams Smart Urban Environments am Fraunhofer IAO. Interessiert an allen Geschichten hinter der Geschichte und fasziniert von kreativen Räumen in urbanen Quartieren oder im unmittelbaren Bürokontext. Überzeugte Co-Working Liebhaberin mit einem Faible für Schnittblumen, schwarzen Kaffee & Wein!

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Kategorien: New Work / Connected Work, Stadtentwicklung
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