Klimacheck – Blogreihe zum betrieblichen Klimaschutz

Klimacheck – Blogreihe zum betrieblichen Klimaschutz
Klimaschutz ist ein spannendes sowie komplexes Thema zugleich und stellt Unternehmen und insbesondere KMU vor Herausforderungen, Fragezeichen und nicht zuletzt zukunftsweisende Chancen. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe »Klima-Impact« des Fraunhofer IAO hat die Blogreihe »Klimacheck« gestartet, um Orientierung zum Thema betrieblicher Klimaschutz zu geben und Unternehmen anhand von Handlungsempfehlungen und Praxisbeispielen zu ermutigen, ihren Beitrag für eine klimabewusste Zukunft zu leisten.

Nachhaltigkeit ist ein omnipräsentes Buzzword und gleichzeitig aufgrund des drohenden Klimawandels der kategorische Imperativ unserer Zeit, der immer mehr Bereiche unseres wirtschaftlichen Lebens erfasst. Der Begriff der Nachhaltigkeit erlebt derzeit seine dritte Transformation: Lange Zeit schien Nachhaltigkeit ein »Orchideenthema« in Unternehmen zu sein, eine grüne Image-Politur für den Zeitgeist. Mit dem wachsenden Druck durch Emissionen, Ressourcenschwund und Klimagefährdung wuchs auch der regulatorische Druck auf Unternehmen, den Vorgaben der »verordneten Nachhaltigkeit« nachzukommen. Heute entdecken immer mehr Unternehmen, gerade aus dem Mittelstand, Nachhaltigkeit als Triebfeder für Innovationen und neue Geschäftsfelder. Die Entwicklungswerkstatt Nachhaltigkeit des BIEC hat das Potenzial systematischer Nachhaltigkeitsansätze untersucht und eine Methodik entwickelt, mit der vor allem kleine und mittelständische Unternehmen eine passgenaue Nachhaltigkeits-Roadmap entwickeln können. Wir sprachen mit Claudia Ricci, die Teamzusammenarbeit und Führung erforscht und Dr. Nektaria Tagalidou, Forscherin im Team Applied Neurocognitive Systems, über systematische Wege zu innovativen Nachhaltigkeitskonzepten.

Claudia, du erforschst Organisations- und Führungskonzepte im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit. Ist Nachhaltigkeit Chefsache oder kann sie delegiert werden?

Nachhaltigkeit ist eine anspruchsvolle Aufgabe für das Management, weil sie Führungsstile und Steuerung verlangt, die weit über klassische Top-Down-Ansagen hinaus gehen. Einerseits macht der wachsende Handlungsdruck durch Klimawandel, Ressourcenschonung etc. die Implementierung nachhaltiger Prozesse und Strukturen zu einem strategischen Thema, zur Chefsache in den kommenden Jahren. Andererseits sind die wichtigsten Wissensträger und Umsetzer für nachhaltige Maßnahmen die eigenen Mitarbeiter*innen. Sie müssen für eine Strategie gewonnen werden, ihre Motivation und Partizipation bestimmt in sehr vielen Bereichen über Erfolg oder Scheitern von Nachhaltigkeitskonzepten. Führung muss also nicht nur Ziele und Richtung vorgeben, sondern vor allem motivieren, mitnehmen und Handlungsspielräume für Mitarbeitende eröffnen, beispielsweise Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz entkräften und Eigeninitiative fördern. Im Wandel zu nachhaltigen Strukturen und Geschäftsmodellen fungiert das Management als Vorbild und Enabler der Mitarbeitenden. Unternehmen müssen eine Mischung aus Top-Down und Bottom-up finden, die zu ihrer Kultur, ihrem Geschäftskonzept und ihren Zielen passt.

Nektaria, du bist Psychologin mit Forschungsschwerpunkt Wohlbefinden und positive User Experience. Welche Rolle spielt die Psychologie bei der Implementierung von Nachhaltigkeit im Unternehmen?

Die psychologische Perspektive hilft in zweifacher Hinsicht: Zum einen bei der Problemwahrnehmung: Trotz Jahrhundertdürre und Eifelflut ist der Klimawandel immer noch für viele Menschen eine abstrakte Gefahr, die nicht viele Berührungspunkte mit dem eigenen Leben und Arbeiten zu haben scheint. Die Folgen unseres Handelns bekommen vor allem kommende Generationen zu spüren. Die große Herausforderung ist also, zu handeln, bevor man selbst direkt betroffen ist.
Zum anderen kann die Psychologie auch helfen, geeignete Lösungsmechanismen zu entwickeln, weil sie Motivation für den Wandel, die eigene Wirksamkeit in diesem Prozess und eine kollektive Identifikation mit dem Thema inspirieren kann. Die Haltung, Kultur, Identität von Mitarbeitenden und der gesamten Organisation sind die Basis für erfolgreiche Nachhaltigkeit – und hier spielt die Psychologie als Wegbereiter natürlich eine Schlüsselrolle.

Claudia, wie soll das Thema Nachhaltigkeit organisatorisch umgesetzt werden? Brauchen Unternehmen einen Chief Sustainability Officer?

Claudia: Es gibt kein Patentrezept für erfolgreiche Implementierungsstrategien. Ich würde deshalb auch keine Standardempfehlung für die organisatorische Aufhängung abgeben. Unser Ansatz am Fraunhofer IAO ist es, mit Unternehmen und ihren eigenen Stärken zu arbeiten und ein passgenaues Konzept für ihre Situation, ihren Markt und ihre Mitarbeitenden zu entwickeln, inklusive der Möglichkeiten der effizienten Organisation und größtmöglichen Wirkung. Neue Stellen mit Spezialisten können als Koordinationspunkte vor allem für größere Unternehmen interessant sein. Mittelständler und kleinere Unternehmen verfügen in der Regel nicht über die Ressourcen für eigene Spezialisten, haben aber andere Vorteile, wie die Kommunikation der kurzen Wege im Unternehmen und häufig eine tiefe, gewachsene Verankerung in der Region. Bei ihnen haben sich zum Beispiel bereichsübergreifende Arbeitsgruppen bewährt. Gerade wenn es um Innovationen und neue Geschäftsmodelle geht, haben wir die Erfahrung gemacht, dass Mittelständler am besten von anderen Mittelständlern lernen. Branchenübergreifende Netzwerke, bei denen man Problemlösungen aus anderen Märkten kennenlernt und ggf. adaptieren kann, sind eine wichtige Innovationsquelle für den Mittelstand und deshalb auch ein wichtiger Baustein für die Entwicklung eines eigenen Nachhaltigkeitskonzepts.
Das Thema Nachhaltigkeit wird langfristig für Unternehmen ein übergreifendes Thema über alle Bereiche werden, eine Art »Zweitwährung« im Unternehmen, ähnlich dem Thema Finanzen. Deshalb ist es wichtig, einen langfristigen Prozess des Wandels und des Lernens auf Organisation- und Mitarbeitendenebene zu entwickeln, der niemanden überfordert und möglichst alle mitnimmt. Wir müssen eine klare Richtung im Unternehmen bestimmen, aber Schritt für Schritt voran gehen und flexibel bleiben.

Brauchen wir für die kollektive Motivation im Unternehmen nicht einen anderen Begriff von Nachhaltigkeit, eine positive Grundtonalität, die die Chancen betont, statt Bedrohungsszenarien zu skizzieren?

Nektaria: Absolut. Schockbotschaften und Katastrophen-Marketing schaffen zwar Aufmerksamkeit, können aber langfristig eher kontraproduktiv wirken, weil sie Machtlosigkeit und starkes Bedrohungserleben schaffen. Wenn Menschen allgemein zu viel mit Bedrohung, Verzichtsappellen und eigener Vergänglichkeit konfrontiert werden, besteht die Gefahr, dass sie sich vom Thema abkapseln und verdrängen – ähnlich dem Vogel Strauß, der bei Bedrohung den Kopf in den Sand steckt. In diese Sackgasse dürfen Organisationen nicht gelangen. Die Erfahrung der Wirksamkeit des eigenen Handelns ist ein unerlässlicher Baustein bei der Umsetzung und notwendig für eine positive Grundhaltung zum Thema. Gerade heute, wo sich die Tragweite des Themas abzeichnet, aber noch viele Gestaltungsmöglichkeiten für Unternehmen bestehen, sollte man den Blick auf die Chancen richten.

Claudia: Und dafür gibt es für Unternehmen viele gute Gründe und Ansatzmöglichkeiten. In vielen Fällen können Energieeinsparung, Kreislaufwirtschaft im Betrieb oder intelligente regionale Lieferketten Einsparpotenziale erschließen. Gerade in reifen Märkten, in denen die meisten deutschen Mittelständler aktiv sind, werden durch den Veränderungsdruck der Klimakrise die Karten in den kommenden Jahren neu gemischt. Nachhaltigkeit kann zu einem positiven Business Case werden, wenn man es systematisch angeht und sich die Potenziale für die eigene nachhaltige Transformation erschließt.

Wie können Unternehmen für sich intern aus dem Thema Nachhaltigkeit eine positive Dynamik entfachen?

Nektaria: Häufig gibt es schon eine Dynamik, oder Ideen und Initiativen in Unternehmen, die von einzelnen Persönlichkeiten oder Gruppen getragen werden. Der erste Schritt ist für uns immer, mit Repräsentanten aller wichtigen Stakeholder Ansatzpunkte, Möglichkeiten aber auch Barrieren und Herausforderungen auszuarbeiten. Eine klare Analyse der Problemlage ist die beste Möglichkeit, wirksame und passgenaue Lösungen für das eigene Unternehmen zu entwickeln. Deshalb setzt unser Nachhaltigkeits-Canvas genau hier an. Der Canvas ist eine einfache Methode, um mit wenig Aufwand die Grundlagen einer systematischen Nachhaltigkeitsstrategie zu skizzieren.

Im zweiten Teil des Interviews lernen Sie die Methodenbausteine des Fraunhofer IAO kennen und erfahren, mit welchen Ansätzen mittelständische Unternehmen passgenaue Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln können.

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Kategorien: New Work / Connected Work
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