Autonomes Fahren kann aus dem »Risiko Sekundenschlaf« einen »Powernap am Steuer« machen, wie wir in unserem letzten Blogpost herausgearbeitet haben. Doch sobald längere Strecken autonom zurückgelegt werden und uns Baustellen, schlechte Wetterlagen oder abgelegene Straßen begegnen, muss der Fahrer auf absehbare Zeit noch einspringen und auch das System unterstützen. Wie gelingt die Übergabe an einen womöglich schlafenden oder gerade anderweitig beschäftigten Fahrer?

Schlaf-Experimente während der Fahrt

Unser Team am Fraunhofer IAO hat die Fahrleistung nach einem Powernap auf dem Fahrersitz in einer Studie untersucht. In Zusammenarbeit mit der Masterandin Maria Hirsch wurden 44 Fahrer und Fahrerinnen zum Powernap in das »Future Driving Lab« des Fraunhofer IAO geladen und durften an einer Fahrsimulation teilnehmen.
Nach einer manuellen Fahrt schalteten sie unseren Fahrsimulator auf einer Autobahnstrecke in den automatischen Modus. Fortan war Zeit für ein Nickerchen – für die Studie wurden nur Daten von Probanden ausgewertet, die tatsächlich mindestens 15 Minuten bewegungslos mit geschlossenen Augen ruhten.

Schlafen für die Wissenschaft
Schlafen für die Wissenschaft. Das Auto weckt rechtzeitig zur Übernahme. Sind 1, 7 oder 15 Minuten richtig?

 

Die Schlafphase wurde durch einen Weckton unterbrochen, ein Head-Up-Display blendete den Countdown bis zur Übernahme ein. Je nach Versuchsgruppe standen 1 Minute, 7 Minuten und 15 Minuten Zeitpuffer nach dem Aufwachen zur Verfügung. Die heute üblichen Sekundenzeitfenster bis zur Übergabe waren schon in Vorversuchen als unrealistisch verworfen worden. Sie reichen keinesfalls, um den Sitz einzustellen sowie Situationsbewusstsein nach dem Schlafen zurückzugewinnen. Das Phänomen der sleep inertia, der eingeschränkten Reaktionsfähigkeit unmittelbar nach dem Aufwachen, wirkt zudem bis zu 30 Minuten nach dem Aufwachen. Dabei kann im Labor verringerte Leistung oder Desorientierung gemessen werden. Das Phänomen deckt sich mit dem subjektiven Empfinden vieler Menschen nach einem Powernap, doch wirkt es sich tatsächlich auf die Fahrleistung aus?

Gut schlafen – gut Fahren: Kein Widerspruch

Die Ergebnisse unserer Studie legen die Vermutung nahe, dass der sleep inertia-Effekt keine nennenswerte Auswirkung hat, langfristige Fahruntüchtigkeit nach dem Schlafen ist demnach nicht zu erwarten.
Die Fahrleistung nach dem Aufwachen wurde in der Studie durch eine Reihe anspruchsvoller manuell gefahrener Manöver in einer Autobahnbaustelle überprüft und mit einer Kontrollgruppe verglichen, die nicht geschlafen hatte.
Die Ergebnisse der Fahrer, die geschlafen haben, sind hinsichtlich Spurhaltung sowie Geschwindigkeitsanpassung mit denen der Kontrollgruppe die nicht geschlafen hatte, vergleichbar. Auch bei sicherheitsrelevanten Reaktionen, wie plötzlich erforderlichen Notbremsungen, wurde kein Unterschied festgestellt.
Schlafen kann also bei ausreichender Übergabezeit durchaus erlaubt werden. Bleibt die Frage, wieviel Zeit zur Übergabe sinnvoll ist?

Das Aufwach-Optimum beim autonomen Fahren

Eine Versuchsperson, die 15 Minuten nach dem Aufwachen Zeit bis zur Übernahme hatte, schlief nach einem Blick auf den Countdown einfach wieder ein. Zusätzlich zeigten alle Probanden, die 15 Minuten Zeit zur Übernahme hatten, während diesem Zeitintervall eine erneute Abnahme der Aufmerksamkeit. Manche Probanden, die nur eine Minute Zeit hatten, verfielen in Hektik, um rechtzeitig fahrbereit zu sein, schafften die sichere Übernahme aber stets noch. In der 7 Minuten Bedingung war Hektik und Dösen kein Problem, alle Probanden ließen sich nach einem Kontrollblick auf den Countdown bis zur Übernahme Zeit zur Sitzeinstellung und nutzten die Zeit, um auf einem Tablet im Internet zu surfen. Pünktlich zur Übernahme waren dann alle Probanden fahrbereit.

Komfortabel und aufmerksamkeitsförderlich scheinen Zeiten im unteren Bereich der 1-7 Minuten-Spanne zu sein. Für automatisierte Fahrzeuge, die diese Zeitspannen garantieren können, sollte weder das eine noch das andere Ende der Zeitskala ein Problem darstellen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob auch aufmerksame Fahrer tatsächlich Minuten vor der Übergabe gewarnt werden müssten. Eine gezielte Bewertung des Fahrerzustands kann die Hinweise und Zeitpunkte situationsspezifisch anpassen. Bei Fraunhofer erforschten wir mit Mitteln des BMBF zusammen mit Fahrzeugherstellern und Zulieferern im Projekt InCarIn (www.incarin.de) genau an dieser Fragestellung, so dass Schlafen bei der Fahrt wirklich keine allzu ferne Zukunftsmusik bleibt.

Leselinks:

Frederik Diederichs

Maschinenversteher und Fahrsimulant am Fraunhofer IAO. Er erforscht, wie zukünftige Assistenzsysteme und Anzeigen im Auto aussehen müssen, damit sie sich positiv auf unser Erleben und Verhalten auswirken. Spaß an Mobilität kann man schließlich auch in Zukunft nie genug haben.

Autorenprofil



Kategorien: Future Mobility, Mensch-Technik-Interaktion
Tags: