Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.
Noch befinden wir uns gefühlt in der Sommerpause, doch die Spannung steigt. Erste Geschäftsreisen finden statt, auf die wir uns teilweise richtig freuen. Endlich mal wieder was Anderes sehen und raus aus dem Homeoffice oder den halb leeren Bürofluren. Doch wir sind natürlich vorsichtiger geworden. Nehmen lieber das Auto als die Bahn. Flugreisen? Wenn irgendwie vermeidbar – besser nicht! Ein wenig Normalität ist zurückgekommen, aber einige große Fragen bleiben: Wie wird das tägliche Arbeitsleben aussehen nach Beendigung der Sommerpause? Habe ich, hat mein Arbeitgeber einen konkreten Plan? Zudem beobachten wir mit etwas bangem Blick die Meldungen zu ansteigenden Infektionszahlen. Keiner weiß, wie lange das Designziel »Abstand«, realisiert durch Virtualität oder ausgedünnte Büroflächen, uns aus Ansteckungsgründen noch begleiten wird.
Die Zahl der Studien und Prognosen steigt
Was wir in jedem Falle wahrnehmen, ist die wachsende Anzahl an Studien mit Prognosen dazu, wie das Neue Normal aussehen wird. Sowie sehr interessante Diskurse zu Fragen, die sich mit längerfristigen Effekten der heutigen Arbeitssituationen auseinandersetzen. Welche Effekte hat z.B. die wachsende räumliche Separierung auf gemeinsame Kreativität, Teamidentität und Gesundheit? Haben wir mit dem Beweis großflächig virtueller Arbeitsstrukturen letztlich die Exportfähigkeit qualifizierter Arbeit erleichtert? Ich erwarte eine Vielzahl sicherlich sehr spannender, auch wissenschaftlicher Auseinandersetzungen zu diesen Fragestellungen. Für ein arbeitswissenschaftliches Institut wie das Fraunhofer IAO sind das extrem dichte, spannende Wochen und Monate.
Gesucht: Ein Schema für einen chancenorientierten Weg ins New Normal
Was dieser Tage stark in unserem anwendungsorientierten Forschungsinstitut aufschlägt, sind ganz handfeste Fragen. Wie gestalten wir den Weg in die Zukunft jetzt richtig? Viele Entscheidungstragende, Personalverantwortliche, Organisationsentwickler*innen, auch Journalisten, melden sich dazu bei uns. Ich berichte im Folgenden in einem kurzen Abriss den Stand unserer Überlegungen und praktischer Umsetzungserfahrungen.
Die Kerntriebfedern unterscheiden sich stark
Die Grundhaltungen und Motivationen der Kontaktpersonen liegen in einer recht breiten Spanne. Sie liegen zwischen einem »möglichst schnell wieder zurück zu früher«, und einem eher erfahrungsgeleiteten »wir nutzen die massiven Lernerfahrungen und gehen im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit einen deutlichen Schritt weiter«. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir die zweite Haltung für die erfolgversprechendere halten. Sicher bleibt nicht alles so, wie wir es zurzeit noch praktizieren. Viele Menschen freuen sich auch wirklich darauf, wieder ins Büro und zu den Kolleg*innen zu kommen. Aber genauso viele wollen die Vorteile der erlebten Flexibilisierung auch in Zukunft nutzen und es gibt auch geschäftlich gesehen sehr gute Gründe dafür.
Schritt 1: Lernerfahrungen auswerten, Erfolge feiern, die erkannten Defizite klar benennen
Verschaffen Sie sich ein möglichst umfängliches Bild über die gemachten Erfahrungen, die umgesetzten Lösungen, die Einschränkungen und Wirkungen in Ihrer Organisation. Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden und Führungskräfte und werten Sie die Ergebnisse transparent aus. Die Lernerfahrungen der letzten Wochen sind zu wertvoll, um nicht systematisch genutzt zu werden. Ihre Mitarbeitenden sind die besten Experten Ihrer Arbeitswelt. Mobilisieren und nutzen Sie sie!
Schritt 2: Rahmenbedingungen und ein Leitbild definieren, die organisationsweit gelten sollten
Definieren Sie, bestmöglich unter Beteiligung Ihrer Mitarbeitenden und Führungskräfte, ihr Zukunftsbild von Arbeit Ihres Unternehmens. Wieviel Homeoffice, mobiles Arbeiten, Arbeit im Büro wollen Sie langfristig realisieren? Wollen Sie Mindestpräsenzzeiten? Welche Reisepolicy wollen Sie entwickeln? Welche Perspektive haben Sie auf die Anzahl büroseitiger Arbeitsplätze, deren mobiliar- und belegungsseitige Auslegung und auf die Gestaltung aktivitätenbasierter Zonen? Was verändert sich dadurch z.B. auch für Pendelverkehr, Parknotwendigkeiten, Anbindungswünsche an öffentliche Verkehrsmittel oder betriebliche Anreize für eine angepasste Mobilität? Bedenken Sie dabei auch die wohnungsseitige Situation Ihrer Mitarbeitenden, damit flexible Arbeitsformen nicht zu einer Sozialauswahl durch die Hintertür führen. Vergessen Sie auch die Potenziale einer deutlich klimaschonenden Gestaltung von Arbeit und Geschäftsreisen nicht! Das Thema Klimawandel ist nur nach hinten gerutscht – und keinesfalls weniger wichtig geworden.
Schritt 3: Professionalisieren Sie Ihre virtualisierten Kundenschnittstellen
Bilanzieren Sie die umgesetzten Virtualisierungserfolge an der Kundenschnittstelle und prüfen Sie, inwieweit Sie diese verbessern und professionalisieren können. Prüfen Sie insbesondere, inwieweit spezifische Dienstleistungen auch ernsthaft fakturierbar sind und wie Sie diese adäquat vermarkten können.
Schritt 4: Technische, infrastrukturelle wie arbeitsrechtliche Voraussetzungen nachjustieren
Prüfen Sie explizit welche IT-technischen Funktionalitäten (Conferencing-Technologien, digitale Signaturen, Handys) sich als notwendig herausgestellt haben, um wirklich leistungsfähig und von Prozessanfang bis –ende digital zu arbeiten und damit eine räumliche Flexibilisierung möglich zu machen. Prüfen Sie je nach Zielbild der Arbeit in Ihrem Unternehmen, welche Aussstattungskomponenten zur Gewährleistung gesunder Arbeitsumgebungen notwendig sind und ob hier eventuell eine Bereitstellung durchs Unternehmen, Bezuschussung oder gepoolte Bestellungen sinnvoll sein können. Nicht jede Organisation hat bereits eine belastbare betriebliche Regelung für Arbeit auf Distanz. Prüfen Sie die möglicherweise bestehende auf Erweiterungsnotwendigkeiten oder starten Sie Aktivitäten, diese mit den Sozialpartnern anzugehen. Checken Sie die Passung ihrer bestehenden Arbeitszeitregelung in Bezug auf Anfang- und Enddaten, die Möglichkeit der Zeiterfassung mit digitalen Tools, die Machbarkeit, z.B. größere Pausen im Arbeitsalltag einzulegen.
Schritt 5: Die Ausgestaltung »vor Ort« in teamverantwortliche Gestaltung überführen
Wenn Sie die allgemeinen Voraussetzungen geschaffen haben, ist es für flexible und moderne Arbeitsstrukturen genauso wichtig, die konkrete Ausgestaltung in die gemeinsame Teamverantwortlichkeit der Mitarbeitenden und Führungskräfte vor Ort zu bringen. Es ist ganz wesentlich, dass sich alle miteinander verstehen. In komplexen, interdependenten Arbeitsumfeldern und definierten Kundenanforderungen ist nur ein kompromissfähiges, hoch verbindliches Miteinander der Garant dafür, dass performant gearbeitet wird. Alle müssen an Verbindlichkeit, Erreichbarkeit, aktiver Kommunikation und Verlässlichkeit arbeiten und hierbei auch kompromissfähig sein. Das ist keinesfalls eine Angelegenheit, die alleine durch die Führungskraft zu ermöglichen ist – alle müssen etwas hineingeben, um für sich etwas zu bekommen. No cherry picking – sondern Teamverantwortung! Hier ist unser breit bewährtes Instrument der »Teamcharta« ein sehr probates Vorgehensmodell.
Schritt 6: Eine digitale Arbeitskultur entwickeln
Räumliche Distanz erfordert die konsequente Auseinandersetzung mit virtueller Nähe und eigenem Kommunikationsverhalten und Wahrnehmungspräferenzen. Sollen flexible Arbeitsformen wirklich funktionieren, muss dafür gesorgt werden, dass intensiv kommuniziert wird, über alle medialen Möglichkeiten hinweg. Es ist wichtig, dass Zeit für Begegnung eingeräumt und wertgeschätzt wird und auch die Leistung von »unsichtbaren« Mitarbeitenden wahrgenommen und gesehen wird. Die Abkehr von der Präsenzkultur ist nicht über Nacht zu erreichen. Sie muss im täglichen Verhalten eingeübt und sichtbar gemacht werden.
Schritt 7: Kompetenzen konsequent weiterentwickeln
Bieten Sie gezielte Schulungs- und Trainingsangebote im Themenfeld Zusammenarbeit, Kundenarbeit und Führungskontakt über Telemedien an und ermuntern Sie zu hierauf bezogenen Erfahrungsaustausch und kontinuierlicher Professionalisierung. Nehmen Sie diese Kompetenzbereiche konsequenterweise auch in die Anforderungsprofile der Stellenbeschreibungen, der Führungskräfteprofile und in die jährlichen Ziel-/Personalgespräche auf, um ihre Bedeutung glaubhaft zu unterlegen und daran zu arbeiten. Bieten Sie Ihren Führungskräften gezielt Raum zum vertraulichen Austausch und motivieren Sie sie auch, die jeweiligen Mitarbeitenden in die notwendige Ausgestaltung der zunehmend virtualisierten Führungsbeziehungen einzubinden.
Ich wünsche Ihnen für die kommende Zeit Mut zur dauerhaften Veränderung und das Zutrauen in die Energie und das Engagement Ihrer Mitarbeitenden! Ich freue mich, wie immer, über Ihre Kommentare, Anregungen und Kontaktaufnahme.
Im nächsten Blogbeitrag werde ich mich intensiver mit den Veränderungen der konkreten Führungsarbeit auseinandersetzen.
Das Fraunhofer IAO bietet zurzeit eine standardisierte, und dadurch sehr zügig umsetzbare Befragungskonzeption für den ersten Arbeitsschritt an. Kommen Sie bei Interesse gerne direkt auf mich bzw. das Team »Zusammenarbeit und Führung« zu.
Leselinks:
- Studie »Arbeiten in der Corona-Pandemie – Auf dem Weg zum New Normal«:
- Blogbeitrag »Arbeiten in der Corona-Krise – und wie es im New Normal weitergehen kann«
Kategorien: New Work / Connected Work
Tags: #PostCorona, Arbeit der Zukunft, Arbeitsgestaltung, Coronavirus – First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement, Home Office, Kollaboration, Kulturentwicklung