Mit großen Schritten steuern wir auf das Weihnachtsgeschäft zu, das traditionell für die KEP-Branche den Jahreshöhepunkt markiert. Und dieses Jahr dürften die Kapazitätsgrenzen erneut getestet werden, denn der E-Commerce und die KEP-Branche haben enorm von der Corona-Situation profitiert. Da passt es gut, dass mein geschätzter Projektpartner Claus Zanker und ich soeben eine Broschüre zur Zukunft der Zustellarbeit erstellt haben. Im Fokus steht die KEP-Branche (Kurier-, Express- und Postdienste). Während die 30 Seiten auf das Layout und den Druck warten, gebe ich schon mal eine Kostprobe zum Inhalt.

Corona-Boost hat Perspektive auf die Lieferbranche verändert

Wir hatten unserer Untersuchungen vor ca. einem Jahr begonnen und zahlreiche Expertinnen und Experten sowie Führungskräfte zur Zukunft von Zustellkonzepten, -prozessen und -technologien befragt. Damals standen die KEP-Unternehmen unter hohem öffentlichem Druck, was die Umsetzung nachhaltiger Zustellkonzepte in den Innenstädten angeht. Dann kam die Pandemie und alle waren froh, dass die Lieferdienste einwandfrei funktionierten. Und das haben sie. Denn als im lokalen Supermarkt das Toilettenpapier schon vergriffen war, konnte Amazon im April 2020 noch liefern. Auch solche Erfahrungen werden dazu beitragen, dass sich das Konsumverhalten dauerhaft in Richtung E-Commerce verschiebt. Das Thema Zustellarbeit ist deshalb aktueller denn je.

Zustellarbeit am Scheideweg: Automatisierung vs. Unterstützung von Beschäftigung

Unsere Erkenntnisse dazu haben wir in Antworten auf Leitfragen der Zustellarbeit formuliert. Solche Leitfragen können sein: »Wie und wo werden wir künftig unsere Pakete empfangen?« oder »Welche Rollen spielen Daten im Zustellprozess?« Soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen: Es deutet viel darauf hin, dass die Zustellarbeit am Scheideweg steht. Denn es gibt Technologien, die darauf abzielen, die Arbeit weiter zu flexibilisieren und zu zergliedern, so dass selbst mit unerfahrenen Zustellkräften eine hohe Produktivität auf der letzten Meile erreicht werden kann. Möglich wird dies z.B., wenn Tourprofile und Gangfolgen automatisiert geplant werden, was einen variablen Zuschnitt von Sendungsgebieten und einen erheblich flexibleren Einsatz von Fahrerinnen und Fahrern ermöglicht.

Eine weitere Flexibilisierung in Form höherer Teilzeitquoten dürfte auch erforderlich werden, wenn für die innerstädtische Zustellung durch den Einsatz kleinerer und nachhaltigerer Fahrzeuge (z.B. Lastenräder) mehr Arbeitskräfte benötigt werden. »Harte« Automatisierung hingegen, wie der Einsatz von Zustellrobotern und Drohnen wird auf der letzten Meile in naher Zukunft keine große Rolle spielen. Dazu sind die Regularien für den Betrieb der Lösungen im städtischen Raum zu komplex, was Produktivitätsvorteile aushebelt. Sehr wohl wird es jedoch zu Automatisierungen bei den unternehmensinternen Depotprozessen kommen.

Corona könnte bei Image-Aufwertung der Zustellarbeit helfen

Ob Technologie letztlich zur Rationalisierung oder zur Unterstützung von Beschäftigung eingesetzt wird, dürfte auch vom Image der Zustellarbeit abhängen. Hier könnte die Corona-Situation zu einem Umdenken führen. Denn wenn sich die Menschen stärker ins Bewusstsein rufen, dass Zustellerinnen und Zusteller die Versorgung mit essentiellen Gütern sicherstellen, könnte dies zu einer Aufwertung der Tätigkeiten beitragen, was in bessere Arbeitsbedingungen und Vergütungen mündet. Eine solche Image-Aufwertung der Zustellarbeit wird freilich schwieriger, wenn immer mehr Kundinnen und Kunden ihre Pakete an anonymen Übergabepunkten wie Paketstationen abholen. Das Thema bleibt also spannend und wir werden hier weiter am Ball bleiben.

Bernd Bienzeisler

Grenzstellen-Wissenschaftler am Fraunhofer IAO. Findet hier optimale Bedingungen, um seinen Interessen zwischen technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen nachzugehen. Bevorzugt privat die Fortbewegung auf Zweirädern.

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