IAO-Blogreihe zum Wissenschaftsjahr 2015: »Zukunftstadt«

»Pünktlich wie die Eisenbahn« war einmal das Prädikat für punktgenaues Eintreffen – vorbei, vorbei. Heute ist es gefühlt ein Ausnahmezustand, wenn die Bahn tatsächlich zur angekündigten Zeit einfährt. Auch die genuschelten Durchsagen, die über den Bahnsteig wehen, oder die modern anmutenden Informationsdisplays neben den stehengebliebenen Uhren schaffen keine Klarheit. Informationen werden oftmals unverständlich, widersprüchlich oder schlichtweg falsch kommuniziert.

Ein persönliches Erlebnis als Beispiel: Die beiden vorhandenen Anzeigen am Bahnsteig zeigten zunächst unterschiedliche Informationen an: Nummer eins forderte auf, den Schienenersatzverkehr zu nutzen, der – das muss dazu gesagt werden – etwa fünfzehn Minuten entfernt beginnt; Nummer zwei garantierte zunächst einen Zug in fünf Minuten, daraus wurden zehn, daraus wurden fünfzehn – zumindest auf der Anzeige, denn schließlich fuhr die Bahn bereits nach zwei Minuten ein…

Die Deutschen und die Pünktlichkeit

Die deutsche Tugend der Pünktlichkeit spiegelt sich in den Anforderungen an das öffentliche Mobilitätssystem wider: Feste Fahrpläne mit Minutengenauigkeit, die optimale verkehrsmittelübergreifende Anschlüsse garantieren, und das mit breiter räumlicher Abdeckung. Doch der geringste Störfaktor wirft das perfekt getimte System aus der Bahn. Die Statistiken über die drei- bzw. sechs Minuten Pünktlichkeit der S-Bahnen in Stuttgart zeigen vor allem in der Hauptverkehrszeit enorme Abweichungen von der Planung. Warum dann überhaupt versuchen, strikt getaktet vorzugehen? In anderen Ländern funktioniert es doch auch mit der »mal sehen, was passiert«-Mentalität. Doch die zuverlässige Planbarkeit ist für uns wichtig, schließlich sind die Deutschen Meister in Sachen Pünktlichkeit. Auch bei den Testläufen mit unserem App-Demonstrator wurde die fehlende »Zuverlässigkeit« am häufigsten über alle Verkehrsmittel hinweg als Diskomfortfaktor aufgeführt.

Plan B: Wenn es mit der Pünktlichkeit nicht klappt

Besonders ärgerlich wird Unpünktlichkeit, wenn Anschlüsse erreicht oder Termine eingehalten werden müssen. Dabei hat sich herausgestellt, dass Verspätungen vor allem von überzeugten ÖPNV-Nutzern akzeptiert werden. Was viel wichtiger erscheint, ist eine transparente Informationslage als Ausgangsbasis für die Entscheidungsfindung: Lohnt es sich, jetzt noch auf ein anderes Verkehrsmittel umzusteigen? Warne ich den Geschäftspartner, dass es später wird? Welche Anschlusszüge warten? Wie kann ich meine Route ändern, sodass ich einen möglichst geringen Mehraufwand habe? Diese Fragen hätten wir gerne beantwortet – und zwar nicht mit einzelnen Apps für jede Fragestellung und jedes separate Verkehrsmittel. Stattdessen wünschen wir uns von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien die tatsächliche Nutzung von Echtzeitdaten und ihre systemische Verknüpfung zu einem einzigen und transparenten Auskunfts- und Planungsportal. Um dieses auch von unterwegs nutzen zu können, fordern wir zudem einen streckenabdeckenden Handyempfang, auch unterirdisch.

Die Informationstechnologie bestimmt die Zuverlässigkeit. Unpünktlichkeit im Mobilitätssystem ist nur dann ein Problem, wenn Menschen Zeit verlieren, nicht wenn sie diese nutzen können, weil Transparenz über Verspätungen und Alternativen herrscht.

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Kategorien: Future Mobility, Stadtentwicklung
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