Vor einigen Wochen hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende in der deutschen Sicherheitspolitik ausgerufen. Diese Zeitenwende erleben wir aber auch in anderer Hinsicht: Plötzlich merken wir, dass ein Leben in Frieden auch in Europa keine Selbstverständlichkeit ist. Und dass die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse, wie eine geheizte Wohnung, auch in einer Wohlstandsgesellschaft wie Deutschland schnell zum Luxusgut werden kann. Mit drohenden Energieembargos (wie in Polen bereits geschehen), der Ausrufung der Frühwarnstufe im Notfallplan Gas und mit der Deklarierung der Nutzung erneuerbarer Energien als überragendes öffentliches Interesse avanciert die Versorgungssicherheit zum heißdiskutierten Thema in Talkshows und im Bundestag.

Pleitewelle (privater) Energieversorger…

Dabei stand die Energiewirtschaft schon vorher unter erheblichem Druck: Unter anderem wegen der unerwartet schnellen Erholung der Weltwirtschaft nach der Corona-Pandemie, unterdurchschnittlichen Energielieferungen aus Russland und ungünstigen Witterungsbedingungen in Ländern, die erneuerbare Energien für den Weltmarkt produzieren, gingen schon im letzten Jahr die Energiepreise durch die Decke. Anbieter, die ihren Energiebedarf kurzfristig auf dem Spotmarkt decken, mussten Energie teuer einkaufen, aber zu bestehenden Konditionen an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben. In der Folge gingen 2021 fast doppelt so viele private Energieversorger pleite wie im Durchschnitt der fünf Jahre zuvor.

…führt zu Kundenschwemme in der Grundversorgung

Damit die Kundinnen und Kunden insolventer Energielieferanten dennoch versorgt sind, fallen sie in Deutschland gemäß Energiewirtschaftsgesetz zurück in die Grundversorgung. Das bedeutet, dass das regional dominierende Energieunternehmen – oftmals ist das das örtliche Stadtwerk – die Energielieferung an den jeweiligen Kunden übernimmt, üblicherweise gegen ein höheres Entgelt. Die Grundversorger finden sich dabei in einer paradoxen Situation wieder: Ohne Werbung und eigenes Zutun laufen ihnen die Kunden zu. Dies wiederum bringt die Unternehmen aber derzeit in Bedrängnis, da der zusätzliche Energiebedarf der Neukunden in der mittel- und langfristigen Planung nicht berücksichtigt ist und die Grundversorger den zusätzlichen Energiebedarf über teure Zukäufe auf dem Spotmarkt decken müssen. Darüber hinaus müssen auch die Neukunden betreut werden, was die vielfach ohnehin knappe Personaldecke zusätzlich strapaziert.

Energie- und Klimakrise als Transformationstreiber

Kurzfristig haben die Energieversorger also alle Hände voll zu tun. In der Krise liegt jedoch auch eine Chance. Für unser Stimmungsbild zur digitalen Transformation haben wir mit Branchenvertretern der Ver- und Entsorgung gesprochen und eine konstruktiv-zukunftsgewandte Stimmung erlebt. Zwar kämpft die Ver- und Entsorgungswirtschaft schon im Alltag mit einem massiven Personal- und Fachkräftemangel und die akute Krisenbewältigung bindet zusätzlich Ressourcen, um sich beispielsweise auf Gasengpässe vorzubereiten, unterbrochene Lieferketten zu kompensieren oder um mit langen Lieferzeiten für Bau- und Ersatzteile umzugehen. Aber gerade das Sichtbarwerden dieser Herausforderungen scheint die Innovationskraft zu beflügeln. In den befragten Unternehmen werden die bereits geplanten Innovationsvorhaben unvermindert vorangetrieben. Unsere Gesprächspartner erwarten zudem eine weitere Beschleunigung von Vorhaben mit Bezug zu erneuerbaren Energien und zur Versorgungssicherheit. Damit meinen die Befragten nicht nur den Ausbau von Windparks und Solaranlagen, sondern auch Projekte zur Abwärmenutzung oder zur Synthetisierung von Chemikalien in Klärwerken.

Zeitenwende in der Ver- und Entsorgung?

Mit der Energiekrise kommt also womöglich die Zeitenwende in der Ver- und Entsorgung. Wichtig für das Gelingen der Transformation ist es, dass die öffentliche und politische Sensibilisierung für die Fragen der Versorgungssicherheit dauerhaft verfängt und dass die Legislative zügig Genehmigungsprozesse für den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie für Innovationsvorhaben in Ver- und Entsorgungsunternehmen vereinfacht. Gleichzeitig muss die Ver- und Entsorgungswirtschaft die Gunst der Stunde nutzen und die digitale Transformation vorantreiben, um Effizienzpotenziale zu heben und neue Geschäftsfelder zu erschließen. Manche müssen dazu zunächst die Grundlagen der Digitalisierung schaffen – gerade für kleine Unternehmen ist die digitale Transformation eine Mammutaufgabe. Andere sind schon einen Schritt weiter und experimentieren mit Künstlicher Intelligenz an ausgewählten Stellen im Unternehmen. Einer unserer Gesprächspartner sieht in der derzeitigen Krise auch die Chance, dass die Branche zusammenwächst. Warum nicht bei der digitalen Transformation den Anfang machen? Wir als angewandte Forschung moderieren gerne den Austausch!

PS: Wenn auch Sie den Einstieg in KI wagen und die Potenziale von Chatbots im Kundenservice oder von Predictive Maintenance in Ihrem Betrieb ausloten wollen, schauen Sie doch mal in unsere KI-Toolbox für Ver- und Entsorgungsunternehmen.

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Veronika Prochazka

Veronika Prochazka hat das Institut 2023 verlassen.

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Kategorien: Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit
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