Um 20 Uhr im Zug Richtung Köln: Personen auf den Gleisen, für etwa 200 Fahrgäste endet ihre Zugfahrt vorläufig auf dem tristen Bahnsteig eines rheinischen Kleinstadtbahnhofs. Situationen wie diese dürfte jeder von uns aus eigener Erfahrung kennen.

Die Bahn informiert zwar minutengenau via App und Internet über den Stand der Dinge, aber der Frust und Unmut der im Feierabendverkehr Gestrandeten nimmt von Minute zu Minute zu. In diesem Alltagsbeispiel stoßen intelligente Technologien und nüchterne Information an klare menschliche Grenzen: Sie können den tatsächlichen Bedarf an Information und Ansprache der Kunden nicht befriedigen. Dieses leider verbreitete Beispiel zeigt: Technologien wie Künstliche Intelligenz müssen im menschlichen Kontext funktionieren – und brauchen dafür mitunter menschliche Unterstützung.

Innovationstreiber Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz steht im Mittelpunkt des betrieblichen Innovationsgeschehens. Sie soll dazu beitragen, konkrete Aufgabenstellungen des menschlichen Reflektierens und Entscheidens zu bewältigen. In diesem Kontext wird auch von lernfähigen Algorithmen gesprochen, die intelligente Verhaltensweisen simulieren.

Betriebliche KI-Anwendungen reichen von Marktprognosen über Textübersetzungen bis hin zu Robotersteuerungen und dem Instandhaltungsmanagement und vielem mehr.

Im Projekt KI-ULTRA wollten wir genauer wissen, wie der Stand der betrieblichen Umsetzung von KI-Anwendungen ist, und welche Rolle der Mensch bei der KI-Einführung spielt. Im Dialog mit Vertretern aus den 30 vornehmlich mittelständischen Unternehmen, die sich am Projekt beteiligten, haben wir Erwartungen, Erfahrungen und Erfolgsfaktoren erörtert.

Die KI-Einführung beginnt im Kopf

Die Mehrzahl der betrachteten KI-Anwendungen befindet sich gegenwärtig im Experimentierstadium, um Nutzenpotenziale und Aufwände auszuloten. Nahezu alle Anwendungen gehen auf problemorientierte Vorschläge der betrieblichen Fachexpertinnen und -experten zurück. Unsere Gesprächspartner betonten den hohen Aufwand, um geschäftsrelevante Daten zu erheben und diese für maschinelle Lernprozesse aufzubereiten. Dies gilt besonders, wenn Daten aus unterschiedlichen Systemen zusammenzuführen sind, beispielsweise unternehmensübergreifendes Datenmanagement entlang der Wertschöpfungsprozesse. Ein Experte brachte es auf den Punkt: »Netzwerke sind für den Unternehmenserfolg essenziell. Allein agierende Unternehmen werden nicht gewinnen. Um Dinge gemeinsam und weniger gegeneinander anzugehen, ist ein offener Umgang unabdingbar. Dadurch können Vertrauensräume entstehen, ohne das Risiko einzugehen, ausgenutzt zu werden.« Die Aussage eines weiteren Experten kennzeichnet den Wandel: »Wir müssen anders denken. Offenheit für Ideen und Experimente sind unabdingbare Voraussetzungen für einen erfolgreichen KI-Einsatz. Das heißt auch, dass wir das Scheitern als Lernchance begreifen müssen. Wenn Entscheider zu sehr auf den ›Return on Invest‹ in kürzester Zeit fokussieren, erschwert das den Einstieg in eine neue Technologie sehr stark.«

Menschliche und maschinelle Intelligenz unterscheiden sich

Die in KI-ULTRA betrachteten KI-Anwendungen zeigen auf, dass sich menschliche und maschinelle Intelligenz kategorial unterscheiden. Menschliches Denken beruht auf den Fähigkeiten des verständigen Erfassens, des Problembewusstseins, der Einsicht und des zur Entscheidung führenden Urteilens. Die Funktionsweise eines KI-Systems wird hingegen durch formale Algorithmen oder definierbare Heuristiken bestimmt. Seine offene Denkweise macht den Menschen zum Generalisten, der sich aus eigenem Impuls an veränderliche Situationen anpassen kann. Technische Systeme sind hierzu nur eingeschränkt in der Lage. Mehr noch können intelligente Maschinen nicht fühlen und keine moralischen Urteile fällen. Dies sind jedoch erfolgsbestimmende Elemente für eine konstruktive, verständnisvolle Zusammenarbeit.

Gestaltungskonzepte für den KI-Einsatz orientieren sich an einer komplementären Mensch-Technik-Interaktion, bei der Mensch und Maschine ihre spezifischen Fähigkeiten und Funktionsumfänge einbringen. Nur wenn Mensch und Maschine sich gegenseitig bestärken, kann KI optimale Systemleistung entfalten.

Veränderung als Lernprozess

Betriebliche Erfahrungen zeigen, dass KI menschliche Aufgabenprofile und Tätigkeitsanforderungen verändert. Arbeitsprozesse werden grundsätzlich komplexer; ein dynamisches Systemverhalten lässt sich schwer beherrschen. Im Projekt KI-ULTRA zeigte sich, dass dezentrale Organisationskonzepte und partizipative Elemente besser geeignet sind, um die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bewältigen. Dies setzt überfachliche Fähigkeiten, wie Selbst- und Sozialkompetenzen voraus. Betriebliche Veränderungsprozesse, die sich an den Prinzipien der Handhabbarkeit, der Verstehbarkeit und der Sinnhaftigkeit orientieren, schaffen günstige Voraussetzungen für die lernende Organisation. Ein Personalleiter beschrieb den Mentalitätswandel wie folgt: »Das mechanistische Denken, so wie es im KVP-Prozess zum Ausdruck kommt, führt uns nicht weiter. Die KVP-Prozesse der 1990er Jahre sind aus genau diesem Grund gescheitert. Wir brauchen eine offene Vorgehensweise, beispielsweise über eine stufenweise Systemeinführung in Pilotanwendungen. Gestaltung muss zu einem gemeinsamen Lernprozess führen.

Strategische Handlungsempfehlungen

Das Fallbeispiel zu Beginn dieses Blogbeitrags zeigt auf, dass intelligente Informationssysteme allein nur selten die wesentlichen menschlichen Bedürfnisse abdecken können. Erst in einem spezifischen Anwendungskontext münden Informationen in erfolgskritisches Wissen, in soziale Verständigung und lösungsorientierte Handlung. Damit sind die unabdingbaren und zuweilen recht anspruchsvollen Aufgaben des Menschen umrissen.

Wie sich menschliche und informationstechnische Beiträge zu einer erfolgreichen Gesamtlösung zusammenführen lassen, haben wir im Projekt KI-ULTRA anhand von strategischen Handlungsempfehlungen zusammengefasst. Gerne erörtern wir auch mit Ihnen Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beim betrieblichen Einsatz von künstlicher Intelligenz. Über Ihren Kommentar oder Ihre Kontaktaufnahme freuen wir uns.

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Martin Braun

Experte für menschliche Arbeit. Aufgrund umfassender Projekterfahrungen ist er überzeugt, dass Kreativität und Initiative erfolgskritische Faktoren in Unternehmen sind. In seinen Beiträgen gibt er Denkanstöße zum Human Factors Engineering und zeigt Erfolgsgeschichten auf.

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Kategorien: Künstliche Intelligenz, Mensch-Technik-Interaktion
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