First-Science-KIT: IAO-Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
First-Science-KIT: Blogreihe zum Corona Krisenmanagement
Die Coronakrise fordert von uns allen ganz neue Herangehensweisen und Lösungen im beruflichen Miteinander. Das Fraunhofer IAO hat deshalb eine Blogreihe gestartet, mit der wir schnell anwendbare Praxistipps weitergeben, gut funktionierende Beispiele vorstellen und Lösungswege während und aus der Krise aufzeigen wollen.

Wir haben uns vorgenommen, in unserem Blog weitere Themen und Erfahrungen zu teilen, die virtuelles Arbeiten in der Corona-Ausnahmesituation unterstützen. Und dann hoffentlich auch in der »Post-Corona-Zeit« nachhaltig wirken. Denn wir glauben daran, dass wir aus der extremen Situation und dem faktisch bestehenden Riesen-Experimentierraum Deutschland auch Lernerfahrungen generieren können, die uns weiterbringen. #PostCorona!!

Nach meinen beiden Blogbeiträgen »Telearbeit geht viral« und »Home Office in Zeiten des Corona-Virus 12 Tipps für die kurzfristige Umsetzung« möchte ich hier gerne einige Erfahrungswerte rund um die Vorbereitung und erfolgreiche Moderation von Online-Meetings mit Ihnen teilen. Dabei beziehe ich mich sowohl auf rein audio-basierte Konferenzen mit mehreren Personen (Telcos), auf Telcos unter Einbezug gemeinsam geteilter Dokumente (Sharing) sowie auf Audio-Video-Konferenzen, die ebenfalls die Sharing-Funktion integrieren können. Diese gibt es schon ganz schön lange, und so stellt sich die Frage, wieso das überhaupt eine Sammlung von Tipps rechtfertigt? Wer bereits mehrfach in einer schlecht moderierten Telefonkonferenz gesessen und miterlebt hat, wie störende Nebengeräusche, technisch überforderte Gesprächsteilnehmer oder abweichende Gesprächsgepflogenheiten vom eigentlichen Gesprächsziel ablenken, weiß, welche Produktivitätsreserven hier noch zu heben sind. In diesen Wochen gilt dies umso mehr, wenn wir häufig keine andere Alternativen haben!

Was ich Ihnen gerne mitgeben möchte:

  • Audio schlägt Video: Auch, wenn die Vermarktungsanstrengungen vieler Anbieter von Videosystemen dies nicht unbedingt erwarten lassen: eine gute Tonqualität ist deutlich kritischer als Bildqualität und sollte daher die größte Aufmerksamkeit genießen. Testen Sie sich selbst: Wo haben Sie mehr Langmut, ohne zu reagieren: Dann, wenn sie im Autoradio nur noch Rauschen und Versatz hören, weil Sie ein Sendegebiet verlassen, oder wenn Sie vorübergehend schlechtere Bildqualitäten oder Verpixelungen im Fernsehen geboten bekommen? Ich wette: Beim Autoradio reagieren Sie deutlich schneller. Kognitionspsychologisch ist erwiesen: Das Gehör des Menschen ist deutlich empfindlicher und »intoleranter« als der visuelle Kanal.
  • Visuelle Informationen dienen ganz stark der Gesprächs(mikro)organisation: Die (häufige) Aussage: »Ich brauch kein Video, ich weiß doch, wie der Kollege X aussieht« hört sich zwar logisch an, unterschlägt aber, wie viel Mimik und Gestik nicht nur über die Gefühlslage des Einzelnen sagt, sondern auch bei der Moderation hilft. Untersuchungen der »Mikroorganisation« von klassischen Besprechungen rund um den Tisch zeigen: Die Wahrnehmung visueller Signale dient vor allem der Gesprächsorganisation und -moderation. Ein Kollege, der sich zu Wort melden will, rückt erfahrungsgemäß etwas an den Tisch und richtet sich auf; Kollegen, die sich schon rein durch die Körperhaltung aus dem Spiel nehmen, signalisieren mangelndes Interesse oder Ablenkung durch andere Tätigkeit. Diese Information nutzt jeder, der die Gesprächsleitung hat, in völlig selbstverständlicher Weise. Nicht zu unterschätzen ist natürlich auch die disziplinierende Funktion von Sichtbarkeit und Augenkontakt sowie die größere Verbindlichkeit, wenn z.B. alle rund um den Tisch die zusammenfassend vorgetragenen Next Steps abnicken. Hier kann man anschließend schlecht behaupten, nicht dabei gewesen und die Beschlüsse wirklich wahrgenommen zu haben. Diese »mitgelieferten«y Vorteile der Präsenzsituation gehen in Online-Formaten zumindest teilweise verloren. Was kann man dennoch tun, um verbindliche, aushaltbare und inhaltlich fruchtbare Besprechungssituationen zu erzeugen, die alle Beteiligten bestmöglich integrieren und deren Inputs nutzbar macht?
  • Wer spricht wann – Reihenfolgen explizit festlegen: Vor allem in rein audiobasierten Situationen kennen Sie das Problem: Wer spricht als nächstes und wie verhindert man das häufige gleichzeitige Ansetzen mehrerer Teilnehmer? Gerne geben wir die Idee der »Meeting Clock« von Hildebrandt und Jehle weiter, wie sie unten abgebildet ist. Sie legt gerade bei regelmäßigen Meetings eine generelle Gesprächsreihenfolge »entlang der Uhr« fest, wenn es um Reihum-Abfragen, Inputs, Stellungnahmen geht. Sie kann dann Ordnung bringen, wenn die Beteiligten sich regelmäßig sprechen.
    Quelle: Hildebrandt, Jehle: Closeness at a Distance, 2013
    Quelle: Hildebrandt, Jehle: Closeness at a Distance, 2013
  • Namen kurz nennen: Gerade bei häufiger wechselnden Zusammensetzungen von Beteiligten in Audiokonferenzen bringt es viel, wenn jeder kurz vor seinem Sprechbeitrag seinen Namen nochmals kurz sagt. Sie ersparen sich damit viele Missverständnisse und erhöhen die Nachvollziehbarkeit.
  • Längere Gesprächspausen machen: Selbst hochleistungsfähige Systeme und Netze können einen ganz kleinen Zeitversatz zwischen Sender und Empfänger nicht verhindern. Das heißt: Gewöhnen Sie sich etwas längere Pausen zwischen Fragen und Antworten, aufeinanderfolgenden Statements an. Das kostet Disziplin, verhindert aber die sonst fast zwangsläufig auftauchenden Kollisionen von Nachfragen und Antworten.
  • »Roger over« – Wiederholen und bestätigen lassen: Man muss nicht in den Funkermodus der dauerhaften Wiederholung und Bestätigung verfallen, aber es kann sinnvoll sein, bei wichtigen Punkten um eine kurze explizite ausdrückliche Wiederholung und Bestätigung zu bitten. Sie können eben nicht wie mit dem sonst üblichen Augenkontakt mit allen Teilnehmern in der ganzen Runde sicher sein, dass alle wirklich alles verstanden und den Auftrag mitbekommen haben. Das mag etwas lehrerhaft wirken – erspart Ihnen aber kostbare Zeit, wenn spezifische Themen das nächste Mal unnötigerweise erneut aufgerollt werden müssen. Natürlich hilft hier auch ein zusätzliches Protokoll.
  • Sharing – auch »zu Fuß« möglich: Sicher zu sein, dass man wirklich über die gleiche Version, die gleiche Seite oder einen bestimmten Abschnitt z.B. einer schriftlichen Vorlage oder Präsentation spricht – das ist einer der wesentlichen Vorteile der »Sharing«-Funktionen einiger Systeme. Der gemeinsame Bezugspunkt ist deutlich für alle zu sehen. Nutzen Sie Sharing-Funktionen, sollten Sie sich kurz rückversichern, dass die entsprechende Seite oder Abbildung auch wirklich schon auf der anderen Seite zu sehen sind, bevor Sie loslegen. Ein »Sharing zu Fuß« – durch Vorabversand der Unterlagen –kann eine Variante sein, die allerdings nicht gemeinsam bearbeitet werden kann. Denken Sie dann unbedingt daran, die Seitenzahl oder die durchlaufende Nummer auf diesem Dokument sichtbar zu vermerken – so sichern Sie den präzisen gemeinsamen Bezug.
  • Das Konterfei bedient die natürliche Neugier auf das Gegenüber: Wie schon erwähnt: den langjährigen Kollegen im Porträt per Videokonferenz zu sehen, ist ev. gar nicht so wesentlich. Bei längeren Besprechungen mit neuen Projektpartnern oder Teilnehmern kann es allerdings eine nette Geste sein, vorab ein kurzes Bild vom jeweiligen Partner oder der Gesprächssituation auf der anderen Seite zu verschicken – Handykameras machen das blitzschnell möglich. Mit der konkreten Vorstellung von den Menschen auf der anderen Seite ist das Gespräch schlichtweg angenehmer. Die allermeisten Menschen haben durchaus Interesse daran, etwas mehr zu wissen, wer denn da auf der anderen Seite sitzt.
  • Ton und Bild sind wichtig – Gute Peripheriegeräte können hier sehr viel leisten: Es kann sehr wertvoll sein, mit einer Telefonspinne zu arbeiten, die die Beiträge rund um den Tisch verlässlich und gerichtet überträgt; eine zusätzliche Kamera, die idealerweise auch drehbar ist, kann den Blickwinkel anpassen, variieren und z.B. die sprechende Person heranzoomen. Hier leistet gute Übertragungsqualität einen großen Komfortbeitrag, der es erlaubt, sich auf die Inhalte zu konzentrieren und auch schlichtweg länger durchzuhalten. Allerdings müssen die Teilnehmer diese Geräte auch adäquat bedienen. Eine Telefonspinne, neben der ständig Kaffeetassen klappernd abgestellt oder die mit Papierrascheln malträtiert wird, kann Folter für die Ohren der Teilnehmer auf der anderen Seite werden. Und: die »Mute-Taste«, also das Stummschalten zur Vermeidung von Nebengeräuschen, sollte wirklich jeder kennen und nutzen!
  • Spot an – sich richtig ins Bild setzen: Beleuchtung und Hintergrund sind bei Videokommunikation erfolgskritisch – und mehr oder minder professionell. Sehr oft sieht man Videobilder, die mehr an Scherenschnitte schwarzer Köpfe vor zu hellem Hintergrund erinnern als an eine Videokonferenz. Angenehme Ausleuchtung ist wichtig, und es lohnt sich zudem, einen professionellen Hintergrund zu liefern. Manche Videosysteme blenden das auch ein – ein Banner, zumindest ein Unternehmenslogo können auch schon viel ausrichten. Private Bilder vom letzten Betriebsausflug oder verschrammte Wände machen keinen sonderlich professionellen Eindruck. Zudem könnten Sie die Teilnehmer ablenken.
  • Technisches Handling und Gesprächsleitung können auch getrennt werden: Gerade bei größeren Konferenzen bzw. Teilnehmerzahlen oder mehreren parallel nutzbaren Kanälen (also z.B. bei zusätzlichen Chatkanälen) ist es eine gute Idee, eine Aufgabenteilung zwischen Gesprächsleitung und technischer Bedienung einzuführen. Das beruhigt den Ablauf und erhöht die Produktivität. Diese Rollen können und sollten aber, auch mit Hinblick auf den Erwerb von Medienkompetenz, durchaus durchgewechselt werden.
  • KVP – An laufender Verbesserung arbeiten: Gönnen Sie sich zum Schluss eine ganz kurze Reflektionsrunde: Wie lief es heute? Was haben wir gut hingekriegt? Wo können wir besser werden? Was probieren wir das nächste Mal aus? Ich möchte Sie ganz ausdrücklich ermuntern, dieses gemeinsame Lernen stark zu forcieren. Es braucht, bei Übung und guter Moderation, zwei bis vier Minuten.

Bis heute kommt professionelle Kommunikation mittels dieser Medien kaum je in Trainingsprogrammen vor. Vermittelt wird maximal das Wissen, das es braucht, um die Technologien in Gang zu bringen, aber nicht, wie sie dann für eine befriedigende und zielführende Kommunikation und Kooperation verwendet werden. Arbeiten Sie daran! Es ist keine Raketenwissenschaft, sondern die natürliche Erweiterung der Kommunikationskompetenz.

Viel Erfolg in der virtuellen Arbeit!

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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