Ein interdisziplinäres Team arbeitet unter Hochdruck an einer neuen Softwarelösung. Die Deadline rückt näher – und trotzdem funktioniert die Zusammenarbeit reibungslos: Die Designerin entwirft das Interface, der Entwickler setzt es sofort um, die Marktanalystin liefert passende Daten in Echtzeit. Diskussionen bleiben fokussiert, Entscheidungen wirken intuitiv, alle Rädchen greifen ineinander. Am Ende des Tages ist mehr geschafft als erwartet – mit echter Leichtigkeit und spürbarem Teamgeist.

Solche Momente sind kein Zufall. Sie entstehen, wenn ein Team in den Flow gerät: Ein Zustand, in dem alle Beteiligten gleichzeitig hoch konzentriert, motiviert und aufeinander abgestimmt zusammenarbeiten. Doch wie entsteht dieser Zustand? Und was braucht es, damit auch in digitalen Kontexten ein solches Zusammenspiel gelingt?

Vom Individuum zur Gruppe: Flow entstehen lassen

Wenn im Team scheinbar alles wie von selbst läuft – Kommunikation ohne viele Worte gelingt, Entscheidungen intuitiv fallen und alle ihr Potenzial voll entfalten –, spricht man von Gruppenflow. Dieser Zustand ist mehr als die Summe individueller Flow-Erlebnisse: Es handelt sich um eine kollektive Erfahrung, in der ein Team ein gemeinsames Ziel mit maximaler Konzentration, Motivation und Koordination verfolgt.

Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi prägte den Begriff »Flow« ursprünglich im Einzelkontext. Neun zentrale Merkmale definieren individuelles Flow-Erleben, darunter klare Ziele, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Herausforderung und Können sowie unmittelbares Feedback.

Schaubild 1. Merkmale des individuellen Flow-Erlebens. Adaptiert von van der Hout et al. (2018)

Schaubild 1. Merkmale des individuellen Flow-Erlebens. Adaptiert von van der Hout et al. (2018)

Viele dieser Bedingungen gelten auch auf Teamebene – mit entscheidenden Ergänzungen: Hier rückt die Interaktion in den Mittelpunkt. Für Gruppenflow braucht es nicht nur individuelle Kompetenz, sondern auch ein hohes Maß an Vertrauen, geteilte Aufmerksamkeit, emotionale Synchronisierung und ein gemeinsames Zielverständnis. Studien zeigen: Teams, die diesen Zustand erreichen, berichten von höherer Leistung, stärkerem Zusammenhalt und gesteigertem Wohlbefinden.

Zwei Arten von Teamflow – gemeinsam im Takt oder gemeinsam im Gefühl

In der Forschung lässt sich zwischen zwei Formen von Teamflow unterschieden, je nachdem wie intensiv und sichtbar das gemeinsame Erleben ist:

  • Group Flow beschreibt ein hochgradig synchronisiertes Zusammenspiel innerhalb eines Teams. Dieser Zustand ist vor allem in Gruppen sichtbar, die gleichzeitig und eng aufeinander abgestimmt agieren, beispielsweise in Musikensembles, Tanzgruppen oder Sportmannschaften. Handlungen greifen nahtlos ineinander, Kommunikation geschieht oft nonverbal, und das Team scheint wie ein einziger Organismus zu funktionieren.
  • Group-Based Flow hingegen bezeichnet ein individuelles Flow-Erleben innerhalb eines Gruppenkontexts. Dabei kann jede oder jeder Einzelne für sich in einen Flow-Zustand geraten, ohne dass zwangsläufig eine sichtbare Synchronisation oder enge Abstimmung mit anderen stattfindet – etwa in einem Kreativ-Workshop.

Beide Formen können gleichzeitig, aber auch unabhängig voneinander auftreten. Ein Teammitglied kann Flow erleben, ohne dass die Gruppe insgesamt im kollektiven Flow ist und umgekehrt. Entscheidend ist dabei, wie stark die Interaktionen und das geteilte Zielerleben innerhalb der Gruppe ausgeprägt sind.

Was Teams brauchen, um in den Flow zu kommen

Individueller Flow kann ein wichtiger Bestandteil von Gruppenflow sein – doch damit ein ganzes Team in diesen Zustand gelangt, braucht es mehr als das. Teamflow entsteht nicht zufällig, sondern basiert auf einer Reihe gleichzeitig wirkender Bedingungen, die ineinandergreifen müssen:

  • Gemeinsame Zielklarheit: Alle im Team verfolgen ein klares, geteiltes Ziel – und erkennen ihren individuellen Beitrag dazu.
  • Gegenseitiges Vertrauen: Teammitglieder fühlen sich sicher, offen zu kommunizieren, Feedback zu geben und auch Fehler zu machen.
  • Emotionale und kognitive Abstimmung: Alle bringen ein ähnliches Maß an Motivation und Einsatzbereitschaft mit – man »zieht an einem Strang«.
  • Komplementäre Kompetenzen: Unterschiedliche Fähigkeiten werden im Team nicht nur akzeptiert, sondern aktiv eingebunden.
  • Offene Kommunikation: Informationen fließen reibungslos, Missverständnisse werden früh erkannt und geklärt.

Wenn all diese Faktoren zusammentreffen, entsteht ein Zustand kollektiver Verbundenheit und Leistungsfähigkeit. Teams berichten dann nicht nur von gesteigerter Effizienz, sondern auch von mehr Freude, Sinnhaftigkeit und Zusammenhalt bei der Arbeit.

Schaubild 2: Merkmale des Teamflow. Adaptiert von van der Hout et al. (2018)

Schaubild 2: Merkmale des Teamflow. Adaptiert von van der Hout et al. (2018)

Digitale Teamarbeit: Kann auch virtuell Flow entstehen?

Digitale Zusammenarbeit bringt viele Vorteile – aber sie verändert auch die Bedingungen, unter denen Teamflow entstehen kann. Besonders Aspekte wie Vertrauen, nonverbale Kommunikation und emotionale Abstimmung sind virtuell schwerer herzustellen: Mimik, Gestik und spontane Reaktionen sind in Videocalls oder Chat-Umgebungen stark eingeschränkt. Das kann das Erleben von Nähe, Sicherheit und Synchronisation im Team behindern.

Neue Technologien wie Virtual und Augmented Reality eröffnen vielversprechende Perspektiven durch die Integration von Eye-Tracking, Gesichtserkennung oder räumlichem Audio. Doch gerade in diesen immersiven Umgebungen stellt sich die Frage, wie natürlich und intuitiv Kommunikation tatsächlich abläuft und wie sie kognitive Prozesse beeinflusst.

Genau an dieser Schnittstelle setzen wir im Rahmen des Projekts INSTANCE II an: Wir untersuchen, wie sich Zusammenarbeit in digitalen, erweiterten Realitäten gestalten lässt und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit auch in virtuellen Teams ein echter Flow-Zustand entstehen kann.

Auf einer Wellenlänge – was im Gehirn passiert, wenn Teams im Flow sind

Erste Erkenntnisse zu den neuronalen Grundlagen von individuellem Flow konnten wir bereits mithilfe von EEG-Messungen gewinnen – nachzulesen in unserem Beitrag »Die Balance meistern« (Link unten).

In Teams zeigen sich bei enger Zusammenarbeit spannende Effekte: Die Hirnaktivität mehrerer Personen kann sich synchronisieren, insbesondere dann, wenn sie gleichzeitig an einer Aufgabe arbeiten und stark miteinander interagieren – ein Phänomen, das man sprichwörtlich als »auf einer Wellenlänge sein« kennt.

Diese Synchronisation zwischen Gehirnen tritt vor allem bei kooperativer Zusammenarbeit auf, also wenn Teammitglieder Aufgaben nicht nur aufteilen, sondern gemeinsam an einem Ziel arbeiten. Wie genau diese neuronale Abstimmung mit dem Erleben von Flow auf individueller und kollektiver Ebene zusammenhängt, ist Gegenstand aktueller Forschung.

In einem kommenden Beitrag werfen wir einen genaueren Blick auf die neurokognitiven Mechanismen der Zusammenarbeit und knüpfen daran an, was in unseren Gehirnen passiert, wenn wir als Team agieren.

Teamflow ist kein Zufall – sondern ein Zusammenspiel

Ob in einem kreativen Workshop, bei der Entwicklung eines Produkts oder in der virtuellen Zusammenarbeit über Kontinente hinweg: Wenn Teams gemeinsam in den Flow kommen, entsteht etwas Besonderes: Ein Zustand kollektiver Leichtigkeit, Effizienz und Verbindung.

Flow im Team zu erleben ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis von bewusster Gestaltung. Gemeinsame Ziele, Vertrauen, klare Kommunikation und geteilte Verantwortung bilden die Basis. In digitalen Kontexten wird dieses Zusammenspiel komplexer – aber nicht unmöglich.

Aus unserer Sicht ist Teamflow eines der spannendsten Phänomene der modernen Arbeitswelt. Die Herausforderung, ihn in hybriden oder virtuellen Settings zu ermöglichen, ist groß – aber sie lohnt sich. Denn wer Flow als Team erlebt, schöpft nicht nur Leistungspotenziale aus, sondern auch Verbundenheit, Sinn und Motivation.

Die Forschung steht hier erst am Anfang – und genau deshalb lohnt es sich, weiter zu fragen: Wie verändern digitale Räume unser Miteinander? Wie synchronisieren sich nicht nur unsere Aufgaben, sondern auch unsere Denkprozesse? Und was können wir tun, um diese Dynamiken bewusst zu gestalten?

Anna Vorreuther

Neurowissenschaftlerin im Team »Applied Neurocognitive Systems«. Sie erforscht den Einsatz von Technik mit multimodaler Sensorik zur Erfassung kognitiver Prozesse während zwischenmenschlicher Interaktion. In ihrer Freizeit begeistert sie außerdem Tauchen und Gaming.

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