Es ist wieder passiert. Nach Yahoo im Jahr 2013 hat nun auch IBM, bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrtausends Vorreiter und Preisträger für innovative Arbeitsformen, die Rolle rückwärts geschlagen. Im Spiegel-Online der letzten Woche stand zu lesen, dass nun auch »rund 2600 Mitarbeiter der US-Marketing-Abteilung nicht mehr im Homeoffice, sondern nur noch „Seite an Seite“ in Büros an sechs zentralen Standorten in den USA arbeiten sollen«. Ähnlich wie im Fall Yahoo ist ein ähnliches Rauschen im (digitalen) Blätterwald zu erwarten. Waren es damals (zumindest offiziell) die Gründe: »Krise, Zusammenrücken, gemeinsam kämpfen«, ist es dieses Mal »Kreativität und Innovation«, die in dieser Lesart eben doch die direkte Zusammenarbeit unbedingt erforderlich mache. Erste Rückfragen bei deutschen Kollegen auf der Arbeitsebene von IBM bringen differenziertere Stellungnahmen hervor. Aber die Debatte wird wieder mit Schwung geführt werden, dessen bin ich sicher.

Zeit für ein kurzes Zwischenfazit also. Wir begleiten dieses Thema seit vielen Jahren, auch ganz aktuell in einer Reihe von mittelständischen und größeren Unternehmen – und öffentlichen Verwaltungen.

Eines gleich vorweg: das »Entweder – Oder« ist immer nur die Zuspitzung, die den tatsächlichen Abwägungen und Diskussionen in der betrieblichen Wirklichkeit nicht entspricht. Welche Trends sehen wir?

  • Mobile, flexible Arbeit wird immer besser technisch machbar und in den Aussagen der Beschäftigten auch prinzipiell immer mehr als Option gewünscht. Aber: der Wunsch nach prinzipieller Möglichkeit ist deutlich größer als die dann realisierte Inanspruchnahme.
  • Wir beobachten einen Shift weg von den „»unflexibleren« Formen der flexiblen Arbeit (wie Arbeit an festen Tagen von daheim aus, also der alternierenden Telearbeit) hin zu einem wachsenden Anteil mobiler, flexibler Arbeitsformen. Also: mal von daheim, mal vom Kunden, mal vom Zug oder Hotel aus.
  • Flexible Arbeitsformen sind kein »Mutter-Thema« mehr. Was als Sonderlösung für junge Mütter gestartet ist, ist heute selbstverständlicher Bestandteil lebensphasenorientierter Personalpolitik. Also: für den Mit-Vierziger, der eine Weiterbildung macht, genauso, wie für die Kollegen, die sich stärker ehrenamtlich engagieren – oder einfach eine lange Fahrtzeit haben. Dazu passt, dass seitens der Unternehmen immer weniger nach spezifischen Gründen gefragt bzw. diese zur Bedingung gemacht werden. Immer mehr zählen schlicht die beiden Kernfragen: Passt es zur Tätigkeit? Und: Passt es zur Person?
  • Dazu passt auch, dass flexible Arbeitsformen mittlerweile auch als Element städtebaulicher oder mobilitätsbezogener Szenarien gehandelt werden. Mobilarbeit bei Feinstaubalarm – in einer Stadt wie Stuttgart kein so unwahrscheinlicher Lösungsansatz.
  • Viele Unternehmen mit einem größeren Anteil an direkt produzierenden Mitarbeitern beschäftigt zunehmend eine gefühlte »Gerechtigkeitslücke«. Was kann man jenen anbieten, die in der Halle Autos montieren oder weiterhin »Hand anlegen« müssen, z.B. im Bereich personenbezogener Dienstleistungen? Hier entspannt sich derzeit auch bei den Sozialpartnern eine größere Debatte.
  • Flexible Arbeitsformen müssen in den jeweiligen Arbeitsbereichen von allen Mitarbeitern und Führungskräften getragen und organisiert werden, und das in möglichst hoher Selbstverantwortlichkeit – und dabei müssen Kompromisse gefunden werden. Ein Cherry-Picking darf nicht erfolgen, wenn man nicht Mehrbelastungen von Führungskräften und Kollegen riskieren will. Und das bedeutet: Dauerhafte Veränderungsarbeit und eine konsequente Weiterentwicklung der gelebten Kultur, weg von Präsenzorientierung. Und hin zu mehr Selbstverantwortlichkeit mit Rechten UND Pflichten, sowie teambezogene Realisierungsansätze. Dann können diese Arbeitsformen einen erheblichen Beitrag zu Arbeitgeberattraktivität und Flexibilität leisten!
  • Die Debatten um Entgrenzung und ihre daraus folgenden Belastungen werden intensiviert, die Forschungen dazu sollten noch deutlich ausgebaut werden. Noch ist zu wenig klar, ob es die Arbeitsverdichtung, die Beschleunigung oder die Entgrenzung der Arbeit ist, was die Menschen stresst. Wahrscheinlich alles – insofern ist eine differenzierte und langlaufende Forschung weiterhin dringend erforderlich.
  • Und last, not least: Die auch bei IBM offenbar dahinterliegende Diskussion, ob Kreativität und Teamidentität, Engagement und Hilfsbereitschaft auch über Distanz in der Zusammenarbeit möglich ist, wird breit geführt. Übrigens gerade aktuell auch im Zusammenhang mit dem Boom agiler Arbeitsformen. Wir sagen: Ja, es geht – das erfordert aber erhebliche Verbesserungen von Kommunikations- und Führungskonzepten, völlig andere Raumkonzepte und immer noch integriertere, bedienungsfreundlichere IT.

Auch wir sehen: Persönliche Begegnung bekommt offenbar wieder größeren Wert. Ja, so tickt der Mensch, und das ist vielleicht gut so: Nimmt man ihm etwas weg, schätzt er dieses wieder höher. Bzw. wir erleben hier ein Stück weit auch die ganz normale Pendelbewegung von organisatorischen Trends. Erinnern wir uns doch an die Debatte um Out- und Insourcing!

Ich glaube: in Zukunft wird sich die Diskussion weiter differenzieren. Gerade in der Mischung aus klug kombinierten Phasen von virtueller und ortspräsenter Zusammenarbeit, der cleveren Integration von Arbeitsumgebungen für virtuelle wie direkte Kollaboration wird die Zukunft liegen. Wir brauchen organisationsspezifische, den individuellen Reifegrad berücksichtigende Strategien und die verantwortliche Mitgestaltung der Mitarbeiter und Führungskräfte. Die virtuelle als auch die physische Arbeitswelt müssen viel mehr zusammen gedacht werden.

Ich freue mich über Ihre Meinung dazu!

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Josephine Hofmann

Leitet das Team »Zusammenarbeit und Führung« und forscht zum Thema Führungskonzepte und flexible Arbeitsformen. Bloggt am liebsten im Zug und nach inspirierenden Veranstaltungen und Begegnungen.

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