Im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nimmt die Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine eine Schlüsselrolle ein. Neuroadaptive Technologien versprechen große Potenziale sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis. Im NeuroLab des Fraunhofer IAO arbeiten die Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle zwischen kognitiver Neurowissenschaft, positiver Psychologie und künstlicher Intelligenz. Unser Ziel ist es, die zunehmende Intelligenz und den steigenden Grad an Autonomie technischer Systeme konsequent auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse des Menschen auszurichten.
Unsere Daten erzählen Geschichten über uns, sie offenbaren unsere Gewohnheiten, unsere Aktivitäten und unseren Gesundheitszustand. Doch gleichzeitig können sie auch intime Einblicke in unser Leben gewähren und möglicherweise von anderen missbraucht werden. Diese Ambivalenz zwischen dem Nutzen und dem Schutz unserer persönlichen Daten führt zu einer Spannung, die viele Menschen dazu veranlasst, zögerlich zu sein, wenn es darum geht, ihren Datenstrom zu teilen.
Doch was könnten wir gewinnen, wenn wir uns selbst erlauben, tiefer in unseren persönlichen Datenstrom einzutauchen? Dieser Blogbeitrag ist der erste einer kurzen Reihe »Von Herzschlägen bis zu Gehirnwellen«, mit der ich die verschiedenen Aspekte von Wearables, ihren Nutzen, Potenziale und auch Risiken der Anwendung beleuchten will.
Definition und Entstehung: Was sind Wearables eigentlich?
Was in den vierziger Jahren noch eine fiktive Idee für ein Spionage-Gadget des Detektiv Dick Tracy war, ist durch die Vorstellung der allerersten digitalen Uhr Pulsar von Hamilton Watch Company im Jahr 1972 eine zum Greifen nahe Idee geworden. Seit 2010 wächst die Anzahl an Menschen, die Wearables nutzen, stetig. Im Jahr 2020 (erstes Quartal) hat etwa jeder Fünfte in Deutschland zwischen 10 und 74 Jahren eine Smartwatch, ein Fitnessarmband oder ein anderes »Wearable« verwendet. Wearables sind im allgemeinen digitale Geräte, die direkt am Körper getragen werden und physiologische Messungen durchführen. Diese Daten werden für die verschiedensten Anwendungszwecke erhoben, wobei die häufigsten Anwendungen Fitness, Lifestyle und Unterhaltung dienen. Wearables werden inzwischen an fast allen Körperstellen eingesetzt. Es gibt smarte Brillen, Ringe, Handschuhe, Halsketten, Shirts, so genannte E-Tattoos und die klassische Smartwatch.
Sensorik: »Perspektive durch Vielfalt«
Auch die Sensorik wird immer vielfältiger. Hierbei lässt sich zwischen physischen und physiologischen Sensoren unterscheiden.
Physische Sensoren beinhalten zum Beispiel piezoelektrische Beschleunigungssensoren und inertiale Messeinheiten zur Erfassung von Bewegung. Inertiale Messeinheiten umfassen Sensoren wie Gyroskope, Beschleunigungssensoren und Magnetometer, die Rotation, lineare Beschleunigung und Ausrichtung im Raum messen. Es gibt sogar Wearables mit UV-Sensoren, die vor Sonnenbrand warnen. Auch GPS, Mikrofon und Kamera gehören dieser Sensorik-Gruppe an.
Physiologischen Sensoren umfassen Messungen von Bewegung und Vitalfaktoren an verschiedenen Körperstellen sowie Messungen von mentalen Zuständen wie Konzentration, Aufmerksamkeit und Emotionen. Die Anwendung von Wearables ist dabei in der Regel nicht invasiv, d. h. alle Sensoren liegen auf der Haut auf und werden nicht im Körper selbst angebracht.
Vitalsensoren sind beispielsweise Elektrokardiographie (EKG) und Photoplethysmographie (PPG) zur Herzratenüberwachung. EKG nutzt elektrische Signale des Körpers, PPG wiederum erfasst den Blutfluss mithilfe von Nah-Infrarot-Licht-Sensoren. Bei Veränderungen im Blutfluss ändert sich die Lichtdurchlässigkeit der Haut unter den Sensoren und damit die Intensität des Lichts, was von den Sensoren ausgesandt und dann wieder empfangen wird. So kann man nicht nur Schlüsse über Herzfrequenz und Blutfluss schließen, sondern beispielsweise auch Blutdruck, Atemfrequenz und Sauerstoffgehalt bestimmen. Bei Wearables wird außerdem oft Elektromyographie (EMG) genutzt, um Muskelbewegungen zu erfassen. Hierbei wird bei Wearables in der Regel oberflächliches EMG angewandt, welches Elektroden auf der Haut nutzt, um Bewegungen zu messen und daher nicht invasiv ist.
Mentale Zustände und Änderungen in Konzentration, Aufmerksamkeit oder Emotionen lassen sich am besten mit Sensoren erfassen, die auf dem Kopf platziert werden und die Gehirnaktivität direkt messen. Elektroenzephalografie (EEG) ist weit verbreitet als Modalität zur Messung, da die Sensoren die elektrischen Signale der aktiven Neuronen in Millisekunden-Schnelle messen können und somit zeitlich extrem genau wiedergeben können, was im Gehirn vorgeht. Eine andere, immer beliebter werdende Art, Gehirnzustände zu erfassen, ist funktionale Nahinfrarotspektroskopie (fNIRS). Diese funktioniert ähnlich wie PPG über Messungen des Blutflusses im Gehirn durch infrarotes Licht. Die Idee hierbei ist, dass Aktivität im Gehirn Sauerstoff erfordert, welcher über die Blutbahnen dorthin transportiert wird. Somit kann man von dem Sauerstoffgehalt im Blut Schlüsse ziehen, welcher Teil des Gehirns gerade eine Änderung in Aktivität vollzieht. FNIRS kann deutlich genauer bestimmen, welche Bereiche des Gehirns aktiv sind und wo genau diese Aktivität stattfindet.
Sowohl EEG als auch fNIRS sind wertvolle Werkzeuge zur Erfassung der Gehirnaktivität, haben jedoch ihre eigenen Grenzen und Herausforderungen. Beide Messmethoden liefern nur Informationen über die Aktivität an der Oberfläche des Gehirns. Tiefere Hirnstrukturen werden dabei nicht erfasst. Dies bedeutet, dass wir möglicherweise nicht das volle Bild der neuronalen Aktivität erhalten und bestimmte Prozesse im Gehirn möglicherweise übersehen. Beide Methoden sind außerdem anfällig für Signalartefakte, die die Genauigkeit der Messungen beeinträchtigen können. Die Interpretation der Ergebnisse erfordert daher eine gründliche Analyse und Berücksichtigung der Limitationen. Dennoch bieten sie wichtige Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns und ermöglichen Fortschritte in der Neuro- und Arbeitswissenschaft.
Multimodaler Einsatz: »Verschiedene Perspektiven erweitern den Horizont«
Die Sensorik der Wearables ist bereits jetzt vielfältig, sowohl was die Mechanik angeht als auch die Möglichkeiten der Datenerfassung. Der Trend geht zu multimodalen Systemen, welche die verschiedenen Sensoren kombinieren. Dies erlaubt nicht nur eine Erweiterung der gesammelten Informationen, sondern stärkt auch die Robustheit der Aussagekraft der erfassten Daten. Was sich durch eine einzelne Sensormodalität über den Zustand der Nutzenden vermuten lässt, kann durch simultanen Einsatz mehrerer Sensoren bestätigt werden.
Als Forscherin im Bereich der neurophysiologischen Signalverarbeitung sehe ich dies als eine vielversprechende Möglichkeit, Daten außerhalb eines Labor-Kontexts zu sammeln und somit unser Verständnis des Gehirns und Körpers zu vertiefen. Ich möchte an dieser Stelle jedoch auch empfehlen, Erkenntnisse mit Vorsicht zu genießen, da es ja bekanntlich heißt: »Korrelation ist nicht gleich Kausalität«, sprich wo Zusammenhänge erkennbar sind, ist nicht zwangsläufig eine Ursache-Wirkungs-Beziehung vorhanden.
Fortsetzung folgt
Im nächsten Teil dieser Blogserie geht es um die Anwendungsbereiche der Wearables und den verantwortungsvollen Umgang mit diesen Daten.
Leselinks:
- Von Herzschlägen bis zu Gehirnwellen – Teil 2
- Detektiv Dick Tracy und die Smartwatch
- Die Pulsar Smartwatch
- Wearable-User-Zahlen
- Wissenschaftlicher Review-Artikel zu Wearables
- Blogreihe zu Herzfrequenz-Sensoren für Wearables
- Alle Blogbeiträge des Teams »Applied Neurocognitive Systems«
- NeuroLab des Fraunhofer IAO
Kategorien: Mensch-Technik-Interaktion
Tags: Arbeitsbedingungen, Feinfühlige Technik, Feinfühlige Technik - Blogreihe des Teams »Applied Neurocognitive Systems«, Gesundheit, HCI, Mensch-Technik-Interaktion, Psychologie, Smartwatch, Wearables
Hinterlasse einen Kommentar